Archiv der Kategorie: Allgemein

image_pdfimage_print

Unlearn CO2

Zeit für ein Klima ohne Krise

Claudia Kemfert, Julien Gupta, Manuel Kronenberg (Hrsg.)
Ullstein Buchverlage (2024)
Berlin. 332 Seiten.

Das fossile System bröckelt. Ein Klima ohne Krise ist in Reichweite. Was es jetzt braucht: dass wir endlich unsere Abhängigkeit von CO2 verlernen – und zwar in allen Bereichen unseres Lebens. Denn das Treibhausgas steckt nicht nur in Gasheizungen und den Tanks unserer Autos. Es hat sich fest in unseren Vorstellungen von einem guten Leben eingenistet und bestimmt unseren Alltag: was wir morgens anziehen, warum wir arbeiten und wie wir abends essen. Die gute Nachricht: Die Lösungen für ein Zusammenleben ohne Ausbeutung von Mensch und Planet liegen längst auf dem Tisch, darunter: kürzere Arbeitszeiten, Klagen gegen fossile Konzerne, Empowerment von Frauen und das Zulassen von Klimagefühlen.

In diesem prominent besetzten Sammelband präsentieren Beitragende aus Wissenschaft und Praxis, Journalismus und Aktivismus vielfältige Lösungen, mit denen wir das fossile System überwinden können. In konstruktiven und fachlich fundierten Essays zeigen sie Wege in eine klimagerechte Zukunft.

Katharina van Bronswijk über Psychologie – Katja Diehl über Mobilität – Julien Gupta und Manuel Kronenberg über Medien  – Eckart von Hirschhausen über Gesundheit – Sophia Hoffmann über Ernährung – Claudia Kemfert über Wachstum – Nina Lorenzen über Mode – Kristina Lunz und Sheena Anderson über Patriarchat – Stefan Rahmstorf über Wissen – Andreas Schmitz über Energie – Andrea  Schöne über Inklusion – Özden Terli über Klimafolgen – Roda Verheyen und Alexandra Endres über Recht – Sara Weber über Arbeit

Leseprobe

Insgesamt bieten die 14 Autoren und Autorinnen, darunter auch der Mediziner Eckart von Hirschhausen, einen meist gut lesbaren Rundumschlag über ihre Wissensbereiche – und nicht grundlos steht der der Psychologin Katharina van Bronswijk an erster Stelle.
Sie begründet, warum wir die Klimakrise so häufig verdrängen: Ihre Anerkennung verlange von uns Veränderungen in unserer Lebensführung, ohne dass wir genau wüssten, was wir dafür bekämen. Wir geben etwas auf, ohne die Alternative zu sehen, was immer schmerzhaft sei.
Wie es dennoch gelingen könnte, machen etwa die Texte über Ernährung und Mode klar. Nur wenn wir uns überwiegend vegetarisch ernähren und auf „fast fashion“ verzichten, kann ein Wandel gelingen. Auf „fast fashion“ allein deshalb, weil Polyester die am meisten verarbeitete Textilfaser ist und zu erhöhten Treibhausgasemissionen und stärkerer Verschmutzung von Trinkwasser und Böden führt.
Doch Klimaschutz braucht vor allem gesellschaftliche Lösungen. Für Ernährung und Mode gilt, dass Steuersätze und überprüfbare Lieferketten helfen würden. Klimafragen sind somit auch Rechtsfragen: Schützt geltendes Recht bislang überwiegend bestehende Nutzungsinteressen, so setzt ein klimagerechtes Rechtssystem andere Prioritäten. Zum Beispiel rückt ökologische Verhältnismäßigkeit in den Fokus, was bedeutet, dass Natur- und Klimaschutz beispielsweise bei Baugenehmigungen immer Vorrang genießen würden.
Aufsätze wie über Mobilität oder ein sehr leicht verständlicher über das komplizierte Thema Energie und Do-it-yourself-Methoden bei der Stromerzeugung zeigen, dass ein Leben, das die planetaren und sozialen Krisen nicht verschärft, möglich ist – und dass es auch Spaß machen kann. Ein wichtiges Buch!

Günther Wessel, Deutschlandfunk Kultur (06.06.2024)

Autokorrektur

Mobilität für eine lebenswerte Welt

Katja Diehl
S.Fischer Verlag 2022
Frankfurt am Main, 272 Seiten

Autokorrektur hinterfragt das Selbstverständnis von Mobilität in unserer Gesellschaft. Wer ist mobil? Aus welchen Gründen entscheiden sich viele Menschen für das eigene Auto, obwohl es häufig eine Belastung ist? Auch wird die Frage gestellt, wie Menschen ohne eigenes Auto mobil sein können. Autokorrektur ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Verkehrswende. Nicht die Antriebstechnologie wird zum entscheidenden Thema, sondern die Frage der Mobilität für alle in einer lebenswerten und klimafreundlichen Welt. Mobilität auf dem Land zu ermöglichen und die Stadt vom alles erdrückenden Autoverkehr befreien.

Buchbesprechung bei Deutschlandfunk Kultur

Buchbesprechung bei NDR Kultur

Weltuntergang fällt aus

Warum die Wende der Klimakrise viel einfacher ist, als die meisten denken, und was jetzt zu tun ist.

Jan Hegenberg
Komplett Media 2022
München, 280 Seiten.

Mal angenommen es war nicht früher alles besser – sondern wird es erst in der Zukunft: Wie würde die ideale Welt 2040 in Bezug auf fossile Brennstoffe, Mobilität und Ernährung aussehen? Und wäre sie auch praktisch umsetzbar? Jan Hegenberg zeigt in seinem Buch faktenbasiert, aber trotzdem mit einer ordentlichen Prise Humor, wie wir die Energiewende angehen können und wie Städte ohne Autos aussehen und funktionieren würden. Dabei seziert er genussvoll und unterhaltsam die Fehlinformationen, denen wir zu dem Thema Klimawende aufgesessen sind, und zeigt, wie gut wir 2040 klimaneutral leben können.

Jan Hegenberg zerpflückt in seinem Buch lustvoll alle Scheinargumente, die uns weismachen sollen, dass die Energiewende nicht möglich wäre.

Buchbesprechung bei utopia.de

Klimaschutz Wissen und Handeln

Nanz, P., Lawrence, M. G., Renn, O., & Meyer, J. (Hrg.)
bpb 2021 (4,50 €)
Bonn. 192 Seiten.

Zwischen dem Wissen über Ursachen, Folgen und geeignete Strategien zur Eindämmung der Klimakrise einerseits und der Umsetzung in Handeln andererseits klafft eine große Lücke. Der Sammelband stellt aktuelle Debatten über Anwendungsmöglichkeiten einschlägiger Forschungsergebnisse vor.

Energieversorgung, Mobilität oder globaler Handel – die Grundlagen unserer Lebensweise schaden dem Weltklima. Sie benötigen viel Energie, die weltweit noch immer vor allem aus der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Gas gewonnen wird. Dadurch gelangt zusätzliches Kohlendioxid in die Atmosphäre, welches die natürliche Abstrahlung des energiereichen Sonnenlichts ins Weltall zunehmend behindert. Die Folge ist der sogenannte Treibhauseffekt, der bereits zu einem signifikanten Anstieg der Durchschnittstemperatur auf der Erde mit spürbaren Folgen für zahlreiche Ökosysteme beigetragen hat und sich künftig noch verstärken kann. Doch zwischen dem Wissen über Ursachen, Folgen und geeignete Strategien zur Eindämmung der Klimakrise einerseits und der Umsetzung in Handeln andererseits klafft eine große Lücke. Vor diesem Hintergrund plädieren die Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes dafür, naturwissenschaftliche Prognosen über den Verlauf des Klimawandels und die damit verbundenen Gefahren ernst zu nehmen. Zugleich beleuchten sie Potenziale, Erfolgsbedingungen und Grenzen verschiedener Ansätze zum nachhaltigen Klimaschutz, etwa die einer klugen Digitalisierung, des Klima-Geoengineerings oder eines veränderten Mobilitätsverhaltens.

Bestellung

 

Was hat die Mücke je für uns getan?

Endlich verstehen, was biologische Vielfalt für unser Leben bedeutet

Frauke Fischer & Hilke Oberhansberg
oekom Verlag 2020
München, 224 Seiten.

Als Über Leben und Natur bei bpb 2021

Was kümmert es uns, wenn in Brasilien eine Art verschwindet, von deren Existenz wir bis dahin gar nichts gewusst haben? Und wäre es nicht fantastisch, wenn Mücken ausstürben?

Ganz und gar nicht: Die Natur ist ein Netzwerk, in der jeder Organismus eine wichtige Rolle spielt. Keine Art existiert unabhängig von den anderen – wir Menschen sind hier keine Ausnahme. Ohne den Reichtum der Natur könnten wir nicht überleben: ohne Insekten kein Obst, ohne Mikroorganismen kein Humus, ohne Mücken keine Schokolade.

Zerstören wir unbedacht diese Vielfalt, gefährden wir auch unsere eigene Existenz. Damit das nicht passiert, wirft dieses Buch einen unterhaltsam Blick auf die faszinierende Welt der Tiere und Pflanzen, die uns Nahrung, Sicherheit, Gesundheit und so vieles mehr schenkt. Und es stellt klar, was passieren muss, damit wir das Artensterben noch aufhalten können.

„Dieses Buch stellt eingängig, gut verständlich und unterhaltsam dar, wie unser aller Wohlergehen vom diversen Leben um uns herum abhängt.“
Dirk Steffens, Wissenschaftsjournalist und »Terra X«-Moderator

„Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg zeigen in ihrem Buch eindringlich, wie der Mensch die Natur- und Tierwelt beeinflusst, und machen deutlich, dass die Konsequenzen uns alle betreffen. Den Autorinnen gelingt es dabei, ernste Zusammenhänge verständlich, unterhaltsam und informativ zu beleuchten. Nach der Lektüre dürfte klar sein, dass wir die Mücke schützen müssen, damit sie weiterhin etwas für uns tun kann.“
Julia Schulz, 17.2.2021 Spektrum.de

Earth Overshoot Day 2021

Jetzt ist Schluss!
In diesem Jahr fällt der Earth Overshoot Day – also der Tag, an dem die natürlichen Ressourcen, die sich innerhalb eines Jahres neu bilden können, aufgebraucht sindwieder auf den 29. Juli1. Im letzten Jahr lag er auf dem 22. August. Doch es war klar, dass er sich nur aufgrund der Mobilitäts- und Handelseinschränkungen infolge der Corona-Pandemie gegenüber dem Vorjahr in Richtung Jahresende verschoben hatte. Die Verringerung des Ressourcenverbrauchs war also nicht durch Einsicht in das Notwendige erfolgt, sondern sie war der Pandemie geschuldet. Eine Weile sah es so aus, als ob wir die Warnungen der Wissenschaft ernst nähmen und dadurch in der Lage wären, die Krise zu bewältigen. Die Menschen nahmen Einschränkungen ihres Lebensstils hin, um sich und andere zu schützen. Das war Grund zur Hoffnung, dass die Einsicht in Notwendigkeiten auch den Ressourcenverbrauch verringern und die Chance zur Verhinderung der Klimakrise erhöhen würde.
Mit viel Geld wurden Unternehmen und Arbeitsplätze gerettet. Es gab Pläne, die durch die Pandemie geschwächte Wirtschaft wiederaufzubauen, indem nur noch ressourcenschonende Technologien gefördert würden. Doch zurzeit sieht es so aus, als würden wir wieder in die alten Verhaltensmuster zurückfallen. Kaum sind die Corona-Regeln gelockert, fliegen viele Menschen wieder in den Urlaub2, kaufen sich wieder Autos3 und holen nach, was sie sich während der Pandemie an Konsum verkneifen mussten4.
Auch die Politik tut sich schwer, die guten Vorsätze umzusetzen. Trotz der katastrophalen Unwetter im Juli, die eine Folge der Klimakrise sind5, sehen einige Politiker – allen voran der Kanzlerkandidat der CDU, Armin Laschet keinen Grund, die Klimapolitik zu ändern6,7. Doch die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts8 verschärften Klimaziele der Bundesregierung sind kein geeigneter Beitrag, um die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad gegenüber vorindustrieller Zeit zu begrenzen9. Auch die strengeren Klimaziele der EU sind nicht ausreichend10. Die G20-Staaten konnten sich bei dem Treffen ihrer Umweltminister am 22. Juli in Neapel ebenfalls nicht auf ehrgeizigere Klimaziele einigen11.
Was brauchen wir noch, um den Ernst der Lage zu begreifen?

Dabei sind die Folgen unseres verschwenderischen Lebensstils und der Verbrennung fossiler Energieträger längst zu spüren. Bisher waren davon Menschen in fernen Ländern betroffen. Verbrannt, verhungert oder ertrunken waren bisher vor allem Menschen in den „unterentwickelten“ Ländern. Wir in den reichen Ländern durften uns in Sicherheit wiegen. Aber damit ist jetzt Schluss. Verheerende Brände in Australien, Nordamerika und Russland12 oder die aktuellen Flutkatastrophen und Dürren der letzten Jahre in Europa sind eindeutige Zeichen, dass die Klimakrise auch bei uns angekommen ist. Was muss noch geschehen, damit wir ernsthaft unseren Lebensstil verändern? Wie viele Menschen müssen bei uns sterben, bis die Politik ernsthafte und ausreichende Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise beschließt? Dabei liegen die Vorschläge auf dem Tisch. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat beispielsweise zwei Szenarien entwickelt, wie eine hundertprozentige Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen in 10 bis 15 Jahren möglich ist13.  Dabei geht es darum, auch die Energie für Verkehr, Produktion und Heizen aus Sonne und Wind zu gewinnen. Dies führt dazu, dass wir dem Ziel, die Klimakrise in den Griff zu bekommen, näher kommen. Und es macht uns unabhängig von Energielieferungen aus anderen Staaten und damit weniger erpressbar.

Es braucht ein entschlossenes Handeln der Politik, die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft absteckt und somit Planungssicherheit schafft. Wie das geht, hat die grönländische Regierung gezeigt. Sie hat beschlossen, auf die weitere Erkundung der Öl- und Gasvorkommen in den Küstengewässern zu verzichten und stattdessen Energie aus erneuerbaren Quellen zu nutzen14. Wer immer nur auf Krisen und Notlagen reagiert, kann die Zukunft nicht mehr aktiv gestalten. Deshalb ist es wichtig, bei der nächsten Bundestagswahl im September sehr genau darauf zu achten, was die einzelnen Parteien in Sachen Klimaschutz unternehmen wollen. Bisher sieht es allerdings nicht so aus, als hätten wir wirklich eine Wahl.

Wir selbst können uns aber entscheiden, Ökostrom zu nutzen, öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad zu nutzen und das Auto stehen zu lassen oder uns weniger fleischlastig (am besten vegan) zu ernähren. Und einfach weniger zu konsumieren. Die Dinge länger zu nutzen ist nicht nur ressourcenschonend, sondern entlastet auch den Geldbeutel.

Weitere Vorschläge finden sich auch auf unserer Internetseite https://plattform-footprint.de.

Quelle: https://i2.wp.com/mackaycartoons.net/wp-content/uploads/2020/03/2020-0311-NATrevised2sm.jpg?resize=768%2C604&ssl=1

1 https://www.overshootday.org/
2 https://www.dfs.de/dfs_homepage/de/Presse/Pressemitteilungen/2021/07.07.2021.-%20%20Die%20Talfahrt%20ist%20vorbei/
3 https://www.adac.de/news/neuzulassungen-kba/
4 https://www.wiwo.de/politik/konjunktur/inflation-steigende-verbraucherpreise-noch-sind-die-portemonnaies-gut-gefuellt/27413144.html
5 https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2021-07/klimawandel-klimaforscher-unwetter-extremwetterereignisse-hochwasser
6 https://www.tagesspiegel.de/politik/laschet-laviert-in-der-klimafrage-weil-jetzt-so-ein-tag-ist-aendert-man-nicht-die-politik/27427218.html
7 https://www.businessinsider.de/politik/deutschland/windkraft-verbot-und-hunderte-millionen-tonnen-kohle-was-der-blick-nach-nrw-ueber-armin-laschets-klimapolitik-verraet-a/
8 https://www.klimareporter.de/deutschland/nein-zur-aufschieberitis
9 https://www.deutschlandfunk.de/aenderung-des-klimaschutzgesetzes-klimaforscher-latif-ein.694.de.html?dram:article_id=499245
10 https://www.klimareporter.de/europaische-union/ein-schritt-zu-echtem-klimaschutz
11 https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-07/klimakatastrophe-g20-treffen-nepal-umweltminister-erderwaermung
12 https://www.fr.de/panorama/waldbraende-russland-usa-kanda-rauch-feuer-flammen-brand-global-90877720.html
13 https://www.pv-magazine.de/2021/07/21/diw-100-prozent-erneuerbare-energieversorgung-in-deutschland-in-10-bis-15-jahren-moeglich/
14 https://www.sonnenseite.com/de/politik/groenland-beendet-suche-nach-erdoel-und-gas/

Economists4future

Verantwortung übernehmen für eine bessere Welt

economists4futureLars Hochmann (Hrsg.)
Murmann Verlag 2020
Hamburg. 296 Seiten.

Hunderttausende Schülerinnen und Schüler beharren auf eine konsequente Klimapolitik. Eltern, Lehrer*innen, Unternehmer*innen und viele weitere Menschen solidarisieren sich mit ihnen, darunter über 26.000 scientists4future aus diversen Disziplinen. Nur die etablierten Wirtschaftswissenschaften schweigen. Das ist kein Zufall, denn ihr Denkstil hat wesentlich zu den Krisen der Gegenwart beigetragen: Denn eins haben Klimakrise, Finanz- und Wirtschaftskrise ebenso wie die Corona-Pandemie gemein: Sie entlarven die Fragilität unserer Wirtschaft und zeigen, wie abhängig wir uns als Gesellschaft von ihr gemacht haben. Alte, scheinbar bewährte Lösungen greifen nicht mehr, Lieferengpässe reißen ganze Zweige in den Abgrund, das gesellschaftliche Zusammenleben gerät aus den Fugen.

Zeit für die Wirtschaftswissenschaften, die Gebetsmühle aus Effizienz und Eigennutz zu zerschlagen und neue Visionen für eine bessere Welt aufzuzeigen.
In „economists4future“ mischt sich eine Gruppe von Weiterdenker*innen in die jetzt notwendige Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft ein – und verändert damit selbstverständlich geglaubte Spielregeln einer wichtigen Wissenschaft.

3 Fragen – 3 Antworten

Wer sind die economists4future?

Lars Hochmann: Economists4future sind Weiterdenker*innen, die eine neue Wirtschaft verstehen und gestalten wollen: wissenschaftsbasiert, reflektiert und demokratisch. Sie sind in Schulen, Hochschulen, NGOs, Unternehmen oder anderen Organisationen tätig. Sie verbindet eine Idee, deren Zeit gekommen ist: Noch nie wussten wir so viel über die Krisen der Gegenwart und noch nie war der gesellschaftliche Wille so mächtig, die jetzt notwendigen Transformationen für eine bessere Welt in Gang zu setzen.

Warum braucht es gerade jetzt economists4future?

Lars Hochmann: Die Zukunft ist zwar grundsätzlich offen, aber im Labyrinth immer neuer Krisen müssen wir uns eingestehen: sie ist es zunehmend weniger. Business-as-usual vervielfältigt die Ursachen der Krisen und verkleinert unsere gesellschaftlichen Möglichkeitsräume. Jetzt braucht es Vorstellungskraft und wissenschaftlichen Möglichkeitssinn für eine neue Wirtschaft. Denn heute können wir uns noch entscheiden: setzen wir auf reflektierte Neugestaltung oder auf hektische Anpassung? Wer die bessere Gesellschaft mit mehr Lebensglück für alle will, muss Wirtschaft jetzt neu denken.

Wie können economists4future Wirtschaft neu denken?

Lars Hochmann: Wirtschaft ist kein Naturgesetz, sondern das, was eine Gesellschaft als Wirtschaft behandelt. Gemeinsam mit der Gesellschaft bereiten economists4future das Neue im Alten vor, suchen nach innovativen Wegen der Versorgung mit Nahrungsmitteln, Gesundheit, Mobilität etc. Sie arbeiten an Begriffen, legen Voraussetzungen offen, vereinen verschiedentlichen Perspektiven, binden das Wissen der Vielen ein, befähigen zu neuen Gewohnheiten im Denken wie Handeln und verlassen so das Labyrinth der Krisen auf neuen Wegen zu einer zukunftsfähigen Wirtschaft.

Interview bei Deutschlandfunk Kultur vom 25. September 2020

„Deswegen ist das Buch zu Recht nicht nur eine Einmischung in eine drängende Debatte, sondern vor allem eine Einladung an all diejenigen Menschen, die etwas bewegen möchten: „Gemeinsam ist eine bessere Welt möglich. Lasst uns der alten Normalität den Rücken kehren“, heißt es am Schluss im Buch.

Die Zeit für den Wandel ist da. Auch und gerade für die Wirtschaftswissenschaften. „Economists4Future“ gibt dazu einen wichtigen Anschub. Überfällig. Endlich.“
Claudia Kemfert, 20.9.2020, Klimareporter

Buchbesprechung bei Klimareporter von Claudia Kemfert

Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

Alexander von HumboldtAndrea Wulf
Bertelsmann 2016, Penguin 2018
München. 560 Seiten.

Er war seiner Zeit weit voraus: Alexander von Humboldt, Universalgelehrter, unermüdlicher Naturforscher, der »zweite Kolumbus« und »Wiederentdecker Amerikas«. Wie kein anderer Wissenschaftler prägte er unser Verständnis von der Natur als lebendigem Ganzen, als Kosmos, in dem alles miteinander verbunden ist und dessen untrennbarer Teil wir sind. In ihrer vielfach ausgezeichneten Biografie führt Andrea Wulf durch das abenteuerliche Leben Humboldts und sein Werk. Er begreift die Natur in ihrer ganzen Fülle als Lebensnetz und prägt damit auch unser Wissen um die Verwundbarkeit der Erde. So bleibt er unverändert wichtig – bis heute.

„Andrea Wulfs großer Verdienst ist nun, dass sie nicht nur eine Lebens-, sondern auch eine kluge Ideengeschichte geschrieben hat. Denn durch viele seiner Freundschaften und über seine immense Korrespondenz hat Alexander von Humboldt vieles angestoßen: Mit dem Unabhängigkeitskämpfer Simon Bolivar diskutierte er die Kolonialherrschaft und motivierte ihn so, sich in seiner Heimat gegen die Spanier zu wenden. Charles Darwin wurde durch Humboldts Reiseberichte zu seiner eigenen Fahrt mit der „Beagle“ ermuntert und er inspirierte maßgeblich die Gründer der amerikanischen Naturschutzbewegung.“ Volker Wildermuth, Deutschlandfunk Kultur 11.10.2015

„Gerade in Zeiten der bachelor- und masterorientierten Scheuklappenwissenschaften und eines US-Präsidenten, der den Klimawandel als Erfindung der Chinesen bezeichnet, ist es nützlich und wichtig, sich des interdisziplinär und nachhaltig denkenden Universalgelehrten Alexander von Humboldt zu erinnern. Wenn es auf so kurzweilige Art geschieht wie in diesem Buch, dann umso besser.“ Paul Riemann, Spektrum 16.03.2017

Leseprobe

Earth Overshoot Day 2020

Wer hat an der Uhr gedreht? Aufgeschoben, nicht aufgehoben!

In diesem Jahr fällt nach Abschätzungen des Global Footprint Networks (GFN) der Earth Overshoot Day, auch Welterschöpfungstag genannt, auf den 22. August1,2. Damit haben wir als Menschheit in diesem Jahr die Rohstoffe und Naturleistungen, die uns die Erde innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellen kann, erst 24 Tage später aufgebraucht, als im Jahr 2019.

Darüber könnte man sich freuen, doch diese Verschiebung des Welterschöpfungstages ist nur der Corona-Pandemie und damit unendlichem menschlichem Leid zu verdanken. Nach Angaben des GFN ist die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks durch den geringeren Holzverbrauch und die geringeren CO2-Emissionen infolge der globalen COVID-19 Quarantänen verursacht. Durch den fast weltweiten Lockdown ist der globale Flugverkehr bis Mitte April gegenüber Anfang des Jahres um 64,5%, bei Frachtflügen um 75,2%, zurückgegangen3, wodurch Lieferketten unterbrochen wurden. Die daraus resultierende Störung in der Lebensmittelversorgung führte zu vermehrten Lebensmittelabfällen auf Seite der Produzenten und andererseits zu mehr Unterernährung und Hunger ärmerer Menschen4. Ausländische Saisonarbeiter konnten nicht mehr ins Land kommen, wodurch diese ihre (magere) Einkommensquelle einbüßten und Feldfrüchte konnten nicht geerntet werden. Viele Menschen wurden arbeitslos, weil Betriebe aufgrund fehlender Vorprodukte oder akuter Infektionsfälle schließen mussten. Von den verheerenden Folgen für die Menschen in Krisengebieten, Flüchtlingslagern und Notunterkünften soll hier gar nicht die Rede sein.

Die Corona-Pandemie hat zum einen gezeigt, wie international verflochten und abhängig unsere Wirtschaft ist. Sie hat aber auch gezeigt, zu was wir als Gesellschaft fähig sind, denn durch rasche und entschlossene Maßnahmen konnten bei uns die Infektionszahlen schnell verringert werden. Der Blick in andere Länder wie USA, Großbritannien oder Brasilien zeigt, was ohne diese drastischen Maßnahmen auch in Deutschland hätte geschehen können. Die Warnungen der Virologen und Epidemiologen ernst zu nehmen und deren Ratschläge zu befolgen, hat sich als hilfreich erwiesen, denn dadurch konnte Schlimmeres verhindert werden.

Warum also hören wir nicht auch auf die Wissenschaft, wenn es um unsere Lebensgrundlagen geht?

Die Bundesregierung hat 1992 mit dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) ein Beratergremium eingerichtet, um unter anderem Umwelt- und Entwicklungsprobleme zu analysieren und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. In einem Sondergutachten „Entwicklung und Gerechtigkeit durch Transformation: Die vier großen I“5 schlägt der WBGU konkrete Maßnahmen für eine gerechte und nachhaltige Weltwirtschaft vor, die von der Politik weitgehend ignoriert werden. Klimaforscher warnen seit Jahrzehnten vor den Folgen des ungebremsten CO2-Ausstoßes, aber unsere Bundesregierung will das letzte Kohlekraftwerk erst 2038 abschalten lassen6. Statt konsequent die Transformation zu einer dekarbonisierten Wirtschaft voranzutreiben, werden veraltete Technologien künstlich am Leben gehalten. Im Bereich der Erneuerbaren Energien haben wir durch das Festhalten an der Kohleverstromung bereits die Photovoltaikbranche in Deutschland ruiniert. Durch unsichere politische Rahmenbedingungen sind dort mehr als 24.000 Arbeitsplätze verloren gegangen7. Für deutsche Autos mit Verbrennungsmotor wird sich bald niemand mehr auf dem internationalen Markt interessieren. In Norwegen werden ab 2025 keine Autos mehr mit Verbrennungsmotor zugelassen. In Dänemark, Indien, Irland, Israel, Niederlande, Slowenien und Schweden ist ab 2030 Schluss damit und andere Länder folgen8. Das bedeutet, spätestens dann werden bei uns die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie verloren gehen. Warum also nicht bereits jetzt andere Antriebs- und Mobilitätskonzepte umsetzen, die neue Arbeitsplätze schaffen? Die Corona-Krise wäre dafür ein geeigneter Anlass. Statt jetzt wieder mit viel Geld die Wirtschaft nach altem Muster hochzufahren, könnten die Gelder jetzt für eine echte Transformation eingesetzt werden.

Wenn wir wieder zu einer Wirtschaftsweise wie vor der Corona-Pandemie zurückkehren, wird die Vernichtung des Naturkapitals weitergehen und die Klimakrise wird weiter verschärft werden. Wir könnten aber jetzt auf die Wissenschaft hören und unsere Gesellschaft zu einer solidarischen, gerechten und nachhaltigen Gesellschaft verändern. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Solange jedoch Gewinnmaximierung vor Gemeinwohl geht und mit Ressourcen verschlingenden, klimaschädlichen Geschäften kurzfristig viel Geld verdient werden kann, wird sich nichts ändern. Noch haben die Vertreter der alten Wirtschaftsweise zu viel Einfluss und es fehlt daher in der Politik am Willen, die Vorschläge der Wissenschaft umzusetzen. Aber das kann sich ändern.

Der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour fordert in seinem Essay „Welche Schutzmaßnahmen können wir uns vorstellen, damit wir nicht zum Produktionsmodell der Zeit vor der Krise zurückkehren?“ die LeserInnen auf, die Zeit im Lockdown zu nutzen, um sich selbst zu fragen, welche Aktivitäten nach der Corona-Krise wieder aufgenommen werden sollen und welche nicht. Die Entscheidungen sollen gut begründet und die Folgen gründlich überdacht werden. Diese Beschreibungen sollen zusammengeführt werden und eine Landschaft aus Konfliktlinien, Bündnissen, Kontroversen und Gegensätzen entstehen lassen, die uns bei der Suche nach einem Weg aus dem alten Wirtschaftssystem hilft.

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die Menschen in unserem Land auch unpopuläre Entscheidungen akzeptieren und mittragen, wenn die Bedrohung erkannt ist und der Weg klar ist, auf dem man die Bedrohung in den Griff bekommen kann. „Wenn in ein oder zwei Monaten Milliarden von Menschen auf der Stelle in der Lage sind, die neue ’soziale Distanz‘ zu erlernen, Abstand zu halten, um mehr Solidarität zu zeigen, zu Hause zu bleiben, um eine Überfüllung der Krankenhäuser zu vermeiden, können wir uns die transformative Kraft dieser neuen Schutzgesten vorstellen, die sich gegen die Wiederherstellung des Bestehenden richten oder – noch schlimmer – gegen eine Offensive derer, die der Anziehungskraft der Erde für immer entgehen wollen“ (Bruno Latour9,10).

Zu den Ursachen der Corona-Krise und den Lehren daraus hatten wir uns bereits im April in einem Beitrag geäußert11.

Informationen zum Overshoot und weiterführende Links dazu findest du beispielsweise auf folgenden Internetseiten:

http://www.footprintcalculator.org/
https://www.fussabdruck.de/
https://www.footprintnetwork.org/
https://www.footprint.at (hier auch weitere Hintergrundinformationen)
https://take5.plattform-footprint.de
https://www.transition-initiativen.de/
https://www.overshootday.org/ (mit Vorschlägen, wie jeder von uns SOFORT seinen Footprint verkleinern kann)

Keine Wirtschaftshilfen ohne Bedingungen

von Michel Siebert, Jugendrat der Generationenstiftung

Wir reden aktuell oft davon, wie die Welt nach Corona aussehen soll, wie sie aussehen wird, und wie wir sie verändern wollen. Wir betonen es immer wieder, aber: Die Welt nach Corona wird jetzt gestaltet, und jetzt werden die entscheidenden Weichen für unser aller Zukunft gestellt. Und insbesondere die Wirtschaftshilfen der Bundesregierung spielen hier eine zentrale Rolle. Wieso? Sie entscheiden darüber, wie viel Last und von wem in der Zukunft getragen werden muss. Wenn wir hier also von Generationen Gerechtigkeit sprechen, dann muss uns die Bedeutsamkeit dieser wirtschaftspolitischen Entscheidungen immer bewusst sein. Denn: Da entstehen Schulden, die wir, die junge Generation später zurückzahlen werden! Und wer, wenn nicht wir, sollte deswegen mitentscheiden, wie diese Gelder verteilt werden?? 

Nach aktuellen Schätzungen wird die Bundesregierung über 1 Billion Euro für Wirtschaftshilfen ausgeben. Grundsätzlich ist das ja richtig: Viele Menschen brauchen Hilfen, um über die aktuelle Notlage hinwegzukommen. Aber was erschreckend, unvernünftig und auch unverschämt ist: Ökologisch-soziale Bedingungen sind hier ein Fremdwort!

An dieser Stelle mal ein Beispiel, um zu illustrieren, was die Folgen dieses Handelns sind: TUI, einer der größten Reiseveranstalter, hat staatliche Rettungsgelder in Milliardenhöhe erhalten. Trotzdem wurden weiter Dividenden ausgezahlt, und um das noch zu toppen werden 8000 Stellen gestrichen. Dies ist kein Einzelfall: Eine Vielzahl von Unternehmen haben angekündigt, die Dividenden vorerst weiter auszuzahlen.  Das ist nicht zu rechtfertigen, und deshalb fordern wir: Es dürfen keine staatlichen Hilfsgelder an Unternehmen ausgezahlt werden, die gleichzeitig Dividenden an Aktionär*innen auszahlen. 

Genauso kurzsichtig sind die aktuellen Diskussionen rund um die Lufthansa: Ohne eine Verpflichtung, in nachhaltige Rohstoffe zu investieren, wird dieses sinnfreie Mantra der Liquidität immer an erster Stelle stehen, und der Klimaschutz und auch die Mitarbeiter*Innen stehen wieder hinten an. Frankreich, und viele andere Staaten machen es doch vor, warum ziehen wir nicht nach? Alle Krisenhilfen für Großkonzerne müssen an strenge, transparente, soziale und ökologische Bedingungen geknüpft werden. 

Anderer Punkt: Während viele Menschen aktuell von ihrem gesamten Ersparten leben müssen, können Unternehmen ihre Verluste vergesellschaften. Was ist das für eine Logik: Gewinne sind fast immer privatisierbar und werden in Steueroasen geparkt. Wenn dann jedoch Verluste erwirtschaftet werden, werden diese sofort an die Allgemeinheit weitergegeben, ohne dass diese viel mitreden kann? So unterstützt die Bundesregierung die Umverteilung vom ganzen Volk weg hin zu den Reichen! Was ist das ein Verständnis von Verantwortung und Gerechtigkeit? Unseres sieht so aus: Es ist nur fair, dass alle Unternehmen dazu verpflichtet werden Krisenhilfen von künftigen Gewinnen zurückzuzahlen. Oder wollen wir wirklich den Grundstein dafür legen, dass klimaschädliche und Menschen ausbeutende Unternehmen auf unsere Kosten wieder extrem profitabel in der Zukunft werden.? 

Nein, das wollen wir nicht. Und genau deshalb braucht dieses kapitalistische System einen grundlegenden Wandel. Und diese Forderungen sind dafür der erste Schritt. 

Die Forderungen des Jugendrates der Generationenstiftung  hier unterstützen.