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Klimaschutz Wissen und Handeln

Nanz, P., Lawrence, M. G., Renn, O., & Meyer, J. (Hrg.)
bpb 2021 (4,50 €)
Bonn. 192 Seiten.

Zwischen dem Wissen über Ursachen, Folgen und geeignete Strategien zur Eindämmung der Klimakrise einerseits und der Umsetzung in Handeln andererseits klafft eine große Lücke. Der Sammelband stellt aktuelle Debatten über Anwendungsmöglichkeiten einschlägiger Forschungsergebnisse vor.

Energieversorgung, Mobilität oder globaler Handel – die Grundlagen unserer Lebensweise schaden dem Weltklima. Sie benötigen viel Energie, die weltweit noch immer vor allem aus der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Gas gewonnen wird. Dadurch gelangt zusätzliches Kohlendioxid in die Atmosphäre, welches die natürliche Abstrahlung des energiereichen Sonnenlichts ins Weltall zunehmend behindert. Die Folge ist der sogenannte Treibhauseffekt, der bereits zu einem signifikanten Anstieg der Durchschnittstemperatur auf der Erde mit spürbaren Folgen für zahlreiche Ökosysteme beigetragen hat und sich künftig noch verstärken kann. Doch zwischen dem Wissen über Ursachen, Folgen und geeignete Strategien zur Eindämmung der Klimakrise einerseits und der Umsetzung in Handeln andererseits klafft eine große Lücke. Vor diesem Hintergrund plädieren die Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes dafür, naturwissenschaftliche Prognosen über den Verlauf des Klimawandels und die damit verbundenen Gefahren ernst zu nehmen. Zugleich beleuchten sie Potenziale, Erfolgsbedingungen und Grenzen verschiedener Ansätze zum nachhaltigen Klimaschutz, etwa die einer klugen Digitalisierung, des Klima-Geoengineerings oder eines veränderten Mobilitätsverhaltens.

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Angst

von Petra Stechele

Auf Angst vor einer komplexen Wirklichkeit gibt es verschiedene Reaktionen. Eine besteht darin, sie zu verdrängen und weiter so zu tun, als wäre alles in Ordnung, meist gepaart mit der Flucht in eine fiktive Scheinrealität. Das ist es, was uns auch gerade in Form des sich verbreitenden Populismus begegnet, der sich in eine vermeintliche Rückkehr in die Nationalstaatlichkeit flüchtet und meint, damit wären schon alle Probleme der Zukunft gelöst und unser Wohlstand für immer gesichert. Die andere besteht in einem beherzten Blick auf die Welt, um sich ihr zu stellen, die eigenen Trägheit zu überwinden und zu handeln.

Trägheit verträgt sich nicht mit dem Schutz unserer Lebenswelt – nein, überhaupt nicht mit dem Leben. Wir überwinden sie aber nur, wenn die Angst so groß wird, dass sie uns dazu treibt.

Der Philosoph Wilhelm Schmid sagte in einem Artikel über German Angst, dass Angst auch ihre positiven Seiten habe, weil wir sonst nicht handeln würden, nichts uns zur Überwindung von Trägheit ansporne. Dabei erwähnte er, dass ihm die Angst vor der ökologischen Katastrophe noch zu gering sei. Denn die sei seiner Ansicht nach ein wirklich reales Gefahrenpotential, das Handlung erfordern würde und genau hier würde sie in fataler Weise unterbleiben.

Statt des sehr realen Abenteuers, der Gestaltung unserer Zukunft und Abwehr der Gefahren für die Umwelt, flüchten wir uns in für uns gefahrlose virtuelle Spiele und Scheinwelten, die uns selbst nur sehr bedingt fordern und fördern. Und womöglich übersehen wir darin die Gefahren, die uns wirklich drohen. „Brot und Spiele“, das war schon im historischen Rom ein beliebtes Mittel, das Volk abzulenken und zufrieden zu halten. Auch heute haben unsere Regierungen nichts dagegen, wenn wir uns mit Vergnügungen zudröhnen, die uns nicht voranbringen. Nicht ohne Grund wurde im Jahr 1984 unter Bundeskanzler Helmut Kohl, dem Verfechter der „geistig-moralischen Wende“, der Rundfunk privatisiert.

Leider ist Trägheit ein Hauptfaktor kultureller Dekadenz. Ein Faktor, der eines Tages unseren Untergang besiegeln könnte.

Warum?

Wir vermeiden aktives körperliches Tun. Alle Arbeiten, die anstrengen, lassen wir von Maschinen erledigen. Manchmal ist das verständlich, denn viele Arbeiten sind ja auch auf Dauer gesundheitsschädlich. Aber dass wir am Ende immer bequemer werden und NICHTS mehr selbst tun wollen, führt zu körperlichen Schäden und Herz-Kreislauferkrankungen. Wir sitzen zu viel. Das müssen wir wiederum durch Sport ausgleichen. Weil das vielfach sehr unbequem ist, brauchen wir auch dazu wieder Maschinen. Die finden wir im Fitnesscenter. Sie ersetzen uns die Bewegung in Welt und Natur. – Ja, wir werden dadurch ein wenig unabhängiger von unserem beschädigten Klima. Was stört uns heiß oder kalt, nass oder trocken?

Wir merken dabei nicht einmal mehr, dass wir zunehmend unser Leben auf diese Weise ersetzen.

Wodurch?

Man könnte sich beinahe fragen, ob wir nicht sogar mit dem Fernseher so etwas wie einen Lebensautomaten erfunden haben. In vielfacher Hinsicht ersetzt er uns ein eigenes Leben. Findet es nicht statt, schauen wir eben fremdem Leben zu. Und je virtueller unsere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung werden, umso weniger sind wir noch wirklich an unserem Leben beteiligt, noch wirklich aktiv darin. Eine Bekannte erzählte mir kürzlich von einem virtuellen Erlebnis mit neuen Medien, einer Brille, die eine andere Realität vorspiegelt und wie beeindruckend real und zugleich verwirrend das war. Sie konnte durch eine völlig andere Wirklichkeit gehen, hatte aber brutale Kopfschmerzen danach.

Ja, so können wir auch Abenteuerautomaten erfinden und darin Dinge erleben, die wir gar nicht mehr wirklich erleben. Wir ersetzen alles, sogar die Welt durch Automaten.

Aber was ist die Folge? Was tun wir dann eigentlich noch selbst? Wer sind wir dann noch? Wer können wir noch sein? Wie können wir uns entwickeln?

Wir verlernen Fähigkeiten, die wir einmal real beherrschten. Unser Leben wird reduziert auf Künstliches, Nicht-Reales. Schon im Fitnesscenter laufen wir, aber nicht mehr über Boden, sondern ebenen Gummi. Wie viele Fähigkeiten der Balance, des Ausgleichs von Bodenunebenheiten, wie viele Tempokorrekturen, wie viele unterschiedliche sinnliche und Muskelaktivitäten werden dabei nicht mehr gebraucht? Stattdessen arbeiten wir daran, dass Roboter lernen Bälle zu fangen. Unseren eigenen Kindern bringen wir es nicht mehr bei.

Wir können nichts mehr mit unseren Händen herstellen und es gibt auch kaum noch jemand, der es könnte. Wir kaufen ein neues Teil, das von einem Automaten gemacht wurde, das billig ist, nichts wert, oft nicht einmal schön und schnell wieder weggeworfen wird, weil es nicht zu reparieren ist.

Wir kochen nicht mehr selbst. Wir wissen oft gar nicht mehr, wie das Rohprodukt aussah, das wir essen, wie es riecht, schmeckt aussieht, wie es sich entwickelt und verändert, wenn es wächst, reift, wenn es bearbeitet wird, welche Vielfalt dabei möglich ist, welcher Reichtum der Variationen an Aussehen, Duft und Geschmack. Wie viele Arten verschwinden, weil wir uns nicht für sie interessieren und wie sehr verarmt dabei unsere Welt, wie sehr unsere Fähigkeiten und sinnlichen Erfahrungen. Tierarten, die wir nicht mehr kennen oder nie kannten, Pflanzen und Früchte, deren Farben und Formen wir nicht mehr wahrnehmen.

Ich habe Kinder erlebt, die Angst hatten, eine Wiese zu betreten, weil es darin Insekten gibt. Natürlich ist das Leben ein Risiko, ist es immer gewesen. Aber es verschiebt sich die realistische Einschätzung der Gefahren.

Was ist der Ersatz dafür? Das Scheppern in einem Kopfhörer, das Flackern in einer Computerbrille? Isolierte Wahrnehmungen mit dem Gestank nach angeschmortem Kabel, Kunststoff und Metall, bestenfalls noch irgendwo ein bisschen angekokelt oder fettgeschmiert.

Unsere Regierung schlug vor, dass wir doch ständig Katastrophenvorräte für zehn Tage vorhalten sollen und natürlich immer wieder erneuern und die alten entsorgen. Ein gutes Wachstumsmodell, wie der Rauchmelder, der ständig neue Batterien braucht, damit er einen in Ruhe schlafen lässt. Wie viele Hunderttausende von Leben wird er schon gerettet haben, seit er eingeführt wurde? Ein bisschen Gespür für Realität, ein bisschen Verstand, das scheint uns langsam verloren zu gehen.

Giovanni di Lorenzo schreibt in der ZEIT: „Populismus ist vor allem ein Derivat der Angst, die eine ständige Begleiterin großer gesellschaftlicher und politischer Umbrüche ist. Heute hat sie ihren Ursprung vor allem in einer Globalisierung, die weit mehr ist als der freie Austausch von Waren. […] Die Globalisierung hat die soziale Lage in der Welt verbessert, sie hat Länder zusammenrücken und ein Gefühl der Gesamtverantwortung für Leid und Unrecht auf allen Kontinenten entstehen lassen.

Jetzt kommt es darauf an, ob die Politik Pläne hat, wie mit den erheblichen Kollateralschäden zu verfahren ist. Denn das Gefälle zwischen Arm und Reich innerhalb der einzelnen Gesellschaften hat zugenommen, Einwanderung und Flüchtlingswellen haben das soziale und kulturelle Gefüge vieler Länder verändert. [Anm. d. Verf.: Ich würde Flüchtlingswellen durch Flucht ersetzen, weil mit Ausdrücken wie Flüchtlingswelle oder Flüchtlingsströme der Eindruck entsteht, wir würden von den Flüchtenden überrollt, was ja schon rein zahlenmäßig ein unrealistisches Bild ist.] Die digitale Revolution bedroht Millionen Arbeitsplätze (bevor sie vielleicht neue schafft). Darauf reagieren Populisten mit dem Heilsversprechen neuer nationaler Grenzen […] Wer dagegen erfolgreich angehen möchte, muss beweisen, dass Regierungen auch in der Diversität Ordnung schaffen können und sehr wohl noch in der Lage sind, Macht auszuüben, zum Beispiel gegenüber Banken und entfesselten Großkonzernen – insbesondere den digitalen.“

Hier trifft er das Problem sehr genau und zitiert abschließend Winfried Kretschmann:“ Anstatt Vorgaben für das gute Leben und die individuelle Lebensgestaltung zu machen, sollten wir uns auf den Kampf für eine gute Ordnung der Dinge konzentrieren.“

Das Leben lebt von der Vielfalt. Auch von der Vielfalt im Miteinanderleben unterschiedlicher Menschen. Denn der Kampf um die Lebensgrundlagen auf dieser Welt vereint uns letztlich alle und nur so können wir auch die Fluchtursachen zu verhindern helfen. Denn wir müssen erkennen, wie sehr das eine mit dem anderen zusammenhängt. Leider geschieht das bisher nicht, ganz im Gegenteil, der Schutz der Lebensgrundlagen unserer Umwelt wird seit der Flüchtlingskrise eher verdrängt und weniger ernst genommen.

Selbstverbrennung

Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff.

selbstverbrennungHans Joachim Schellnhuber.
C Bertelsmann Verlag,  2015.
München. 784 Seiten.

Alarmierender Report über die selbstzerstörerischen
Folgen einer ungebremsten Erderwärmung.

»Um jedes Zehntelgrad zu kämpfen« lohne sich, davon ist Deutschlands wichtigster Klimaforscher mit internationaler Reputation überzeugt. Er streitet seit Jahrzehnten darum, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dem Klimawandel und seinen dramatischen Folgen endlich ins Auge sehen – und alles daran setzen, ihn aufzuhalten.

In einem brisanten Thesenbuch spitzt er seine Kritik noch einmal zu: Nach derzeitigem Wissensstand bewegt sich unsere Zivilisation nicht auf die oft genannte Zwei-Grad-Grenze, sondern viel dramatischer auf eine Erwärmung von 3 bis 4 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts zu. Die fortgesetzte Verbrennung fossiler Energieträger droht zum kollektiven Suizid zu führen. Hans Joachim Schellnhuber fasst das aktuelle Wissen in aller Schärfe zusammen, damit die Politiker auf der »Schicksalskonferenz« in Paris im Spätherbst 2015 die letzte Chance zum Umsteuern ergreifen.

Leseprobe.

„Schellnhuber hat ein neues Buch veröffentlicht, das man ohne Übertreibung als Lebenswerk bezeichnen kann. Es verbindet biografische, historische, politische und kulturelle Linien zu einem neuen Blick auf die menschliche Klimageschichte und -zukunft.“ Die Zeit (29.10.2015)

„Schellnhuber ist als Wissenschaftler dort angekommen, wo auch ökologisch engagierte Klimapolitiker  ihre Hoffnungen säen: in der Zivilgesellschaft. Er ergreift Partei für ein „Weltbürgertum“ der Nachhaltigkeit. Er setzt darauf, und gibt dafür auch seine akademische Neutralität sehr vorsätzlich auf, dass nicht er mit seinen Kassandrarufen das Ruder herumreißt, sondern am Ende die Klugheit der besorgten Massen – die Schwarmintelligenz der Vernünftigen. Es ist kaum zu übersehen in diesem klimapolitischen Vermächtnis, dass er in dieser Hinsicht sogar durchaus optimistisch ist. Ganz anders als in seiner Einschätzung der klimapolitischen Kaste.“ Joachim Müller-Jung, Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.11.2015)

Quer zum Strom

Eine Streitschrift über das Wasser

Quer zum StromPetra Dobner
Verlag Klaus Wagenbach, bpb 2013
Berlin. 96 Seiten.

Der Umgang mit ökologischen Ressourcen und vor allem mit dem Wasser ist das Kernproblem des dritten Jahrtausends. Aus der glücklichen Lage, in einem wasserreichen und wirtschaftsstarken Gebiet zu leben, erwächst eine globale Verantwortung, die mit dem Hahnzudrehen beim Zähneputzen bei weitem nicht abgegolten ist.

Wir leben in einem Landstrich reich an Süßwasserquellen. Wir sind die Weltmeister im Wassersparen und gleichzeitig im Mineralwasserkonsumieren. Beides ist ökonomisch wie ökologisch vollkommen widersinnig: Leitungen müssen wegen des sinkenden Verbrauchs mit Klarwasser gespült werden und das Märchen vom gesunden Mineralwasser hat erhebliche Folgeschäden für die Umwelt. Denn ein Liter Flaschenwasser verschlingt in der Produktion und auf dem Transport etwa ein Drittel Liter Öl.
Wer wirklich Wasser sparen will, muss dies in Industrie und Landwirtschaft tun. Die Herstellung eines T- Shirts verschlingt beispielsweise 5 000 Liter Wasser. Angesichts der weltweit zunehmend bedrohten Wasserressourcen und des Klimawandels ist bewusster Konsum dringlicher denn je. Ebenso brisant ist die Konzeptlosigkeit der politischen Steuerungsebene, auf der in den letzten 20 Jahren kapitale Fehlentscheidungen getroffen wurden. Das Wasser als öffentliches Gut und das Recht auf Wasser als eines der ältesten überhaupt anzuerkennen, scheint im Privatisierungs- und Liberalisierungswahn vergessen zu sein.

„Insgesamt betrachtet darf diese Streitschrift mit ihren 84 Seiten im Kleinformat als sehr lesenswert und informativ bezeichnet werden, bietet sie doch insbesondere Wasser-Interessierten und fachlich weniger kundigen politisch Verantwortlichen und gesellschaftlich Engagierten einen guten Einblick in die Zusammenhänge der Wasserversorgung in Deutschland und fundierte Impulse zum Handeln. Dass sich die Autorin gegen die Wasserspar-Euphorie wendet, mag man ihr noch eher nachsehen, als den dann doch etwas zu ausgewogenen Blick auf die Rolle der Privaten. Aber wie immer im Leben: wo Licht ist, muss auch Schatten sein.“  Siegfried Gendries, LebensraumWasser 19.04.2014

Cheaponomics

Warum billig zu teuer ist

cheaponomicsMichael Carolan
oekom verlag 2015
München. 304 Seiten.

„Carolan argumentiert anschaulich und sachlich. Am Ende von Cheaponomics ist man überzeugt: Die Welt kann uns gar nicht teuer genug sein.“ ZEIT Wissen, 6/2015, Jens Lubbadeh

Glauben Sie wirklich, dass eine Mikrowelle für 14,99 Euro ein gutes Geschäft ist, und es mit rechten Dingen zugeht, wenn ein Kilo Fleisch 2,99 kostet? Und wer bezahlt, was Kleidung und Smartphones aus Fernost wirklich kosten?

„Billig ist nichts als eine Illusion, die versteckten Kosten niedriger Preise sind exorbitant hoch“, schreibt Michael Carolan. Anhand zahlreicher Beispiele von der Plastiktüte bis zur automobilen Gesellschaft erklärt er, wie unser Billig-Konsum und sein zerstörerisches System am Leben erhalten wird, und er macht deutlich, dass höhere und gerechte Preise notwendig und möglich sind, ohne dass wir auf Wesentliches verzichten müssen.

„Carolan hat ein interessantes Buch vorgelegt, das die (…) Zusammenhänge klug erhellt“ (Adrian Lobe) und das Phänomen „Billig“ in einem neuen Gesellschaftsmodell aufhebt, von dem jeder profitieren kann.

„Carolans Vorschläge, das Wirtschaftssystem zu verändern sind nicht neu, manche schon konventionell, manche werden von der Politik diskutiert, wenngleich auch nicht wirklich umgesetzt – etwa die Steuerlast für Unternehmen an deren CO2-Bilanz zu koppeln – und gelegentlich ist der Autor so von seinen eigenen Argumenten überzeugt, dass er über das Ziel hinausschießt. Ob etwa die These zu halten ist, dass bei jedem Produkt, dem durch Verarbeitung Wert hinzugefügt wird, gleichzeitig Kosten sozialisiert werden, ist fraglich. Dennoch ist Cheaponomics ein sehr gut lesbares, griffig formuliertes Buch, das auch dank vieler verblüffender Beispiele zu manch angeregter Diskussion führen dürfte.“ Stefan Maas, 7.12.2015 Deutschlandfunk

Leseprobe

Geplanter Verschleiß

Wie die Industrie uns zu immer mehr und immer schnellerem Konsum antreibt – und wie wir uns dagegen wehren können

geplanter verschleißChristian Kreiß
Europa Verlag 2014
Berlin. 240 Seiten.

HEUTE GEKAUFT, MORGEN ENTSORGT

Ob Drucker, Mobiltelefon oder Fernseher – bereits kurz nach Ablauf der Garantie sind viele Geräte reif für den Müll. Eine Reparatur lohnt sich nicht oder ist gar nicht erst möglich. Kalkuliert sorgen die Hersteller mit geplantem Verschleiß dafür, dass ihre Produkte frühzeitig kaputtgehen, damit wir Verbraucher mehr konsumieren. Sinnlose Müllberge und ein enormer Ressourcenverbrauch sind die Folge.

Christian Kreiß zeichnet die moralisch fragwürdigen Methoden der Großkonzerne nach, zeigt, warum geplanter Verschleiß eine gesamtwirtschaftlich völlig unsinnige Strategie ist und wie die Werbung uns gezielt in die Irre führt.
Als Gegenmaßnahmen schlägt er konkrete Gesetze zur Verbesserung der Haltbarkeit und Abgaben auf Großvermögen vor. Insbesondere aber fordert er eine Kultur der Nachhaltigkeit, in der Reparatur, Sharing-Modelle und Konsumverzicht ihren festen Platz haben.

Nach „Profitwahn“ stellt der Volkswirt Kreiß anschaulich Formen von Verbrauchertäuschung und Kundenbetrug zwecks Gewinnerzielung vor. Zur geplanten Obsoleszenz (Verkürzung von Gebrauchsdauer und Produktlebenszeit) gehören auch Strategien bei Ersatzteilen, Reparaturen und schnelle Abfolge neuer Modelle. Und das kann er belegen an vielen Beispielen zumeist bekannter Markenprodukte. Er schlüsselt zum Teil nach Branchen auf mit aufschlussreichen Berechnungen, den Zwängen von Wettbewerb und Preisgestaltung. Besonders kritisch sieht er die Rolle der Werbung. Bemerkenswert, wie er das Für und Wider von Verbraucherschutz und Testergebnissen beurteilt. Oft bezieht er sich auf kürzlich erschienene Medienberichte und Bücher, die er schätzt, darunter „Lebensmittel- Lügen“; oder „Die Kultur der Reparatur“; von W.M. Heckl. Sehr klar werden die negativen Folgen reiner Profitinteressen verdeutlicht. Die abschließenden Reformforderungen und Alternativen sind großenteils bekannt, aber hier besonders eindringlich präsentiert. Mit vorbildlichem Anhang. Hoffentlich bald Bestseller! (Elke Günther; ekz.bibliotheksservice 15/2014)

Krisen

von Petra Stechele

Das Wort ist aus unseren Medien inzwischen nicht mehr wegzudenken. Doch gerade das sollte zu denken geben. Denn eine Krise bezeichnet eine Ausnahmesituation, genauer: Eine Entscheidungssituation, einen Höhe- bzw. Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung (Duden).

ÖLKRISE FINANZKRISE WIRTSCHAFTSKRISE GRIECHENLANDKRISE BANKENKRISE FLÜCHTLINGSKRISE …

Doch wie bereits Horst Köhler in seinem ZEIT-Artikel ausgeführt hat (siehe Brief an die Kanzlerin), sind dies keine wirklichen Krisen, sondern Symptome. Symptome dafür, dass unser Wirtschaftssystem überholt ist und sich nicht an die veränderten Gegebenheiten der Welt angepasst hat. Es funktioniert so nicht mehr. Es lässt zu große Ungerechtigkeit entstehen. Es schließt zu viele Gesellschaften vom Wohlstand aus und ist längst zu einer Herrschaft des weltweiten Großkapitals geworden, das den Regierenden die Macht aus der Hand genommen hat. Zuallererst, weil Regierungen nichts mehr fürchten als Stagnation. Wirtschaftliches Wachstum gilt in diesen Kreisen nach wie vor als Garant für Wohlstand. Und die WählerInnen fürchten um ihre Arbeitsplätze und ihre Fähigkeit zum Dauerkonsum.

Wie bei körperlichen Erkrankungen ziehen wir meist vor, ein Medikament zu suchen, das schnell die Symptome zum Verschwinden bringt, ohne die wirkliche Krankheit zu heilen. Wir nehmen ein Schmerzmittel, achten nicht auf Risiken und Nebenwirkungen, wollen unser Verhalten nicht ändern, das zu der Krankheit geführt hat. Deshalb geschieht, was geschehen muss. Die Symptome kehren zurück, meist noch viel schlimmer als zuvor oder sie verlagern sich nur an eine andere Stelle auf ein anderes Organ und schwächen uns immer mehr.

So ist es auch mit der Welt. Die Regierenden sind erstaunlicherweise blind für das, was bereits seit vielen Jahrzehnten kein Geheimnis ist. Mit den immer gleichen Rezepten sollen die Krisen gelöst werden. Der Klimawandel, der durch technischen Fortschritt verursacht wurde, soll durch mehr technischen Fortschritt bekämpft werden. Die Ungleichheit in der Welt, die durch unser ungerechtes Wirtschaftssystem verursacht wurde, soll durch noch mehr Wirtschaftswachstum beseitigt werden. Das Bild von der steigenden Flut, die auch die Schwachen nach oben tragen soll, sitzt fest in den Köpfen. Dabei hat die Realität dieses Bild längst Lügen gestraft. Nein, sie stellen sich blind, weil sie, wie auch die Wirtschaftsmächtigen wissen, dass die Krankheit nur heilbar wäre, wenn wir unser Verhalten unser Wirtschaften ganz grundlegend verändern würden. Wenn wir uns ein „gesundes“, ein „verträgliches“ Verhalten angewöhnen würden. Das würde für manche darin bestehen, dass sie bestimmte Dinge nicht mehr wie gewohnt tun können, wie das auch bei Krankheiten der Fall ist. Es würde auch darin bestehen, dass man manche andere Dinge tun müsste, die bisher nicht nötig waren. Es würde auch bedeuten, dass man manchmal unsicher ist und erst ausprobieren muss, was denn nun das Richtige, das „weltgesunde“ Verhalten eigentlich ist, vorsichtig, nachdenklich, kritisch sein, hinterfragen und Fehler korrigieren.

Aber was „das Heilmittel“ denn sein könnte, das haben viele schon seit langer Zeit beschrieben. Es würde auf jeden Fall darin bestehen, dass wir versuchen müssten, nicht stets noch mehr Ressourcen zu verbrauchen, als uns im Verhältnis zu anderen Völkern dieser Erde zustehen.

Kürzlich war ich bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Terrorismus. Der Nahostkorrespondent, Jörg Armbruster, hat über die Entstehung des Terrorismus referiert und seine Beobachtungen geschildert. Miguel Berger vom Auswärtigen Amt sprach darüber, dass man mit Terroristen nicht verhandeln könne und deshalb militärische Lösungen die politischen ergänzen müssten. Vom Publikum wurde wiederholt auf die Punkte Perspektivlosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit und Chancenlosigkeit in diesen Ländern hingewiesen. Auch darauf, dass bereits durch westliches Eingreifen zahlreiche Staaten zerschlagen worden sind, in denen nun Terroristen und Terrorregime das Vakuum füllen. Waffenlieferungen wurden erwähnt, unsere Abhängigkeit vom Öl Saudi Arabiens, das wiederum zur Finanzierung und Unterstützung des Terrors dient. Aber der Diplomat ließ sich durch nichts von seiner Medizin, der Bombe, abbringen, also die Symptome zu kurieren. Am Ende sprach die Moderatorin von einem „antiwestlichen Narrativ“ (=Erzählung) zu dem ein „Gegennarrativ“ (=Gegenerzählung) gefunden werden müsste und fasste so die Meinung des Publikums mit auf. Aber dieser Punkt, der als einziger an die Ursachen des Problems ging, wurde nicht weiter angesprochen. Denn damit war die Veranstaltung zu Ende. Was bleibt, sind die Bomben auf Syrien, sind die Soldaten, die wir entsenden, die Flugzeuge, ein Kriegsschiff, um die Franzosen zu unterstützen bei einer Mission die völkerrechtlich noch gar kein Mandat hat.

Wenn man in die Bücher schaut, dann kann man bei A. Munif, Salzstädte oder Orhan Pamuk, Istanbul nachlesen, wie solche antiwestlichen Narrative entstanden sind. Ich erwähnte andernorts, wie einst freie Beduinen zu Untertanen von Emiren wurden, weil diese plötzlich durch die Ölquellen, die von den USA erschlossen wurden, zu Herrschaftsmacht kamen und damit eine Polarisierung der arabischen Bevölkerung entstand. Nach dem ersten Weltkrieg hat der Westen dort künstliche Staatengebilde errichtet,  wie Syrien und den Irak, die als Nachfolger ehemaliger Kolonien, Völker zusammenzwangen, die gar nicht zusammenpassten. In der Folge wurden die Sunniten von den Schiiten (zwei unterschiedliche islamische Glaubensrichtungen) unterdrückt. Jetzt bilden die Sunniten in ihrem Hass auf die Unterdrücker den Kern des IS. Orhan Pamuk beschreibt, wie er den Niedergang des Osmanischen Reiches erlebte, das einen Großraum des Mittelmeergebietes und der heutigen Krisenregionen einnahm. Er erkannte, „…dass wir unser „Herrendasein“ nicht in erster Linie unserem Besitztum zu verdanken hatten, sondern der Tatsache, dass wir modern und europäisch waren“, „verwestlicht“ wie „französische Bourgeois“. Er beschreibt den „mit Neid und Schuldgefühlen vermischten Wunsch nämlich, die letzten Spuren einer großen Kultur getilgt zu sehen, an deren Stelle wir unwürdigerweise ein billiges Abziehbild westlicher Zivilisation setzten.“ Der Franzose André Gide schrieb, „dass er die Türken verabscheue und spricht von der Überlegenheit der westlichen und insbesondere der französischen Zivilisation.“ Pamuk sagt dazu, „dass die Intellektuellen [Türken, Anm. d. Verf.] Gide insgeheim Recht gaben.“ Er fährt fort, „dass die militärischen und wirtschaftlichen Triumphe der westlichen Zivilisation, selbst eher kritisch veranlagte westliche Intellektuelle mit kaum verhohlenem Stolz erfüllen und dass auch sie davon überzeugt sind, der Westen sei das Maß aller Dinge.“„Ich bin genauso wie die Stadt ein lebender Toter, ein atmender Leichnam, ein armer Hund, der – wie Straßen und Gehsteige mich wissen lassen – zu Niederlage und Schmutz verurteilt ist.“ So beschreibt er seine Entfremdung, obwohl – oder weil er an einer amerikanischen Schule erzogen wurde. Wen wundert wenn andere lebende Tote zu Selbstmordattentätern werden?

Pamuk erzählt hier von der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Man sieht an diesem Beispiel, wie dieses Denken weiterging. Sieht den Abstieg der Länder, die eben nicht dem „Maß aller Dinge“ entsprechen konnten und wie dieses Empfinden sich ausbreitete und seine explosive Gewalt entfalten konnte, weil wir nichts unternommen haben, diese “antiwestliche Erzählung“ rechtzeitig zu erkennen, die hier entstand und ihr einen anderen Inhalt zu geben. Und auch jetzt sind wir dabei, wieder einmal die Geschichte nicht zu unseren Gunsten umzuschreiben.

Denn wenn wir das tun wollten, müssten wir erkennen, dass wir durch unseren verschwenderischen Lebensstil eine massive Ungleichheit in der Welt verursacht haben und unsere Güter häufig durch die Ausbeutung anderer produziert werden. Wir müssen erkennen, das Wohlstand nicht auf Kosten anderer entstehen kann. Und dass Wohlstand nicht bedeutet, ein zweites oder drittes Auto zu kaufen, jeden Tag Fleisch zu essen oder in Urlaub zu fliegen. Das sind nur die verzweifelte Versuche, uns von der Krankheit abzulenken. Wenn wir auf die Krisen, den Wendepunkten, nicht mit der Reduzierung unserer Ansprüche reagieren, entwickeln sie sich zu Katastrophen. Denn auch China und Indien wollen sich ihren Anteil holen und verschlimmern damit die Lage all der Völker, die über diese Möglichkeiten nicht verfügen. All diese Entwicklungen und Spannungen müssen sich in Verzweiflungstaten derer entladen, die sich jeder Chancen beraubt sehen und sich deshalb gegen unsere Kultur bewaffnet haben, oder gegen jene, die in ihren Ländern mit uns zusammenarbeiten wollen und die sich nun gezwungen sehen, ihre Länder fluchtartig zu verlassen.

Wir sollten also jetzt bedenken, wie unsere Geschichte einmal erzählt werden wird. Wir sollten uns nach Harald Welzer die Frage stellen: „Wie wollen wir einmal gelebt haben?“

Verzichten wir doch mal auf Trägheit

von Petra Stechele

„Wer in den Zoo geht und ein Krokodil betrachtet, betrachtet Mitteleuropa. Wohlgenährt, träge und bewegungslos liegt es da. Schon erledigt vom pausenlos guten Leben, ist ihm der Hunger nach Aufregungen schon vergangen. Deshalb stehen in vielen Städten Türme herum, von denen die Ruhelosesten in die Tiefe springen. Kein Reiseversicherungspaket begleitet sie nach unten, um heil davonzukommen. Nein, nur ein Bungee-Gummiband verspricht letzte Rettung. Unglaublich, welche Kraftakte man auf diesem Erdteil unternehmen muss, um sein Herz noch schlagen zu hören.“ (Andreas Altmann. 34 Tage, 33 Nächte)

Neuerdings gibt es andere Aufregungen, andere Ängste, die uns klar machen, dass etwas in eine Richtung läuft, die uns nicht gefallen kann. Ein anderes Unten, eine andere Tiefe, in deren Bodenlosigkeit wir nicht fallen wollen. Wir beginnen die Folgen unseres Tuns zu spüren, wenn wir die Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten sehen. Peter Scholl-Latour hat sein Buch über die Entwicklungen in diesem Raum „Der Fluch der bösen Tat“ tituliert. Wir sollten zu vermeiden suchen, noch mehr Flüche „böser“ Taten erleben zu müssen. Wir zerstören Lebensräume anderer Menschen durch unseren Lebensstil.

Und es gibt meines Erachtens noch eine andere Form des Verzichts, als den auf Dinge, auf die man einen Anspruch hat, nämlich den auf Dinge, auf die man jahrelang glaubte, einen Anspruch zu haben, weswegen sich dann eine Gewohnheit bildete.

„Es ist einfacher ein guter Mensch zu sein, wenn man dabei nichts zu verlieren hat,“ sagte Harald Martenstein einmal in seiner Kolumne im ZEITmagazin. Ähnlich ist es auch mit dem Verzicht. Ich kann gut auf beheizte Fußballstadien und Rasenheizung verzichten, weil mich dieser Sport nicht interessiert. Meinetwegen muss man nirgendwo in Wüsten oder unterentwickelten Ländern teure Olympiastadien bauen. Den Sportfan wird das dagegen hart treffen.

In seiner negativ besetzten Ausprägung bedeutet der Verzicht eine Einbuße an Lebensfreude, nämlich genau dann, wenn ich auf all jene Dinge verzichte, die mir Freude bereiten. Aber muss das unbedingt so sein? Durch ein bisschen Nachdenken kann man in einfacher Weise neue Gewohnheiten und neue Freuden entwickeln, Neues ausprobieren. Auch alles, was nicht dauernd oder wiederholt im Übermaß betrieben wird, entlastet die Umwelt und kann den eigenen Horizont erweitern, mir neue Erfahrungen bringen. Um beim Beispiel zu bleiben: Niemand muss auf Fußball verzichten, aber muss er bei Eis und Schnee stattfinden, muss Olympia in der Wüste abgehalten werden? Viele dieser Dinge kann ich nicht direkt verhindern, aber durch mein Interesse treibe ich sie indirekt voran, durch mein Verhalten entscheide ich mit. Ich muss nicht alles mitmachen, ich kann stattdessen etwas anderes tun, anderes auswählen – vielleicht bereichert es sogar mein Leben, wenn ich mir ab und an ein anderes Vergnügen wähle.

Manchmal kann ich supergut auf ein Flugzeug verzichten, weil ich Bahnreisen schöner und erlebnisreicher finde, auch wenn sie länger dauern. Sogar dann, wenn mal ein Anschluss nicht klappt. Im überfüllten Zug beim Bahnstreik sind mir, eingepfercht auf einem engen Gang, die interessantesten Menschen begegnet – und auf so engem Raum kamen wir uns auch menschlich näher und haben mehr miteinander geredet, als wenn jeder auf seinem eigenen Sitz eingequetscht wäre. Als ich in einer kleinen französischen Stadt einen Anschluss verpasste, musste ich im Café auf den nächsten Zug warten. Es war herrlich. Dieser Vormittag ließ das Leben der Stadt und ihrer Menschen vor mir Revue passieren, bescherte mir interessante Lektüre, gutes Essen und Gespräche. All das wäre mir nicht begegnet, wenn ich den geplanten Zug genommen hätte.

Aber als mein Sohn im Ausland studierte, konnten wir nicht immer auf das Flugzeug verzichten, weil sonst manchmal aus Zeitmangel nicht möglich gewesen wäre, einander zu besuchen. Dazu habe ich beim Thema Reisen schon einiges gesagt. Zudem ist die Preispolitik der Bahn manchmal schwer zu verstehen und mit mehreren Personen ist es oft günstiger, Auto zu fahren, was nicht den realen Kosten entspricht.

Bleiben wir bei der Bewegung. Wie viel Geld wird in Deutschland und weltweit ausgegeben für Fitnesseinrichtungen, für Sportgeräte, Sportvereine, und schließlich für Folgeschäden von Sportverletzungen oder für die Schäden, die unsere körperliche Trägheit verursacht!? So haben wir Fernbedienungen, damit wir nicht einmal mehr die paar Bewegungen tun müssen, um das Garagentor zu öffnen und es hochzuschieben. Aufzüge, Rolltreppen, obwohl wir noch bestens auf den Beinen sind, Haushaltsgeräte, die uns jede Mühe erleichtern und eine Menge Tätigkeiten abnehmen, Elektrogeräte, die uns den Rechen im Garten ersetzen, den Rasenmäher, die Heckenschere. Ankauf, Instandhaltung und Ersatz defekter Geräte kosten uns viel Geld und Zeit. Wir müssen dafür mehr Erwerbsarbeit leisten, um das Geld zu verdienen. Wenn wir einige dieser Tätigkeiten in unser tägliches Fitnessprogramm einbauen, ersparen wir uns eine Menge Geld und sparen uns die Zeit im Fitnesscenter.

Sogenannte Eigenarbeit, Arbeit für den eigenen Zweck also, wird in unserer Gesellschaft wenig geschätzt. Sie hat einen geringen Prestigewert, weil sie mit wenig öffentlicher Beachtung oder messbaren Erfolgen einhergeht. Dennoch kann sie uns viel Freude machen, sie steigert unsere Kreativität und vermittelt den Flow. Das ist ein Begriff aus der Psychologie, für das höchst gesunde Gefühl ganz in einer erfüllenden Tätigkeit aufzugehen, an der wir Freude haben und der wir uns ganz konzentriert hingeben, statt immer der gleichen Routine und dem gleichen Trott in Schule, Job und Büro zu folgen oder uns von allen Medien gleichzeitig unterhalten zu lassen. Eigenarbeit ist in vielen Fällen umweltfreundlicher und gesünder als der Erwerb der Fertigprodukte, wie etwa das Kochen und Backen, aber auch der Anbau von Nahrungsmitteln. Denn sogar auf einem Balkon kann man schon viele Pflanzen selber ziehen.

Wenn man dann auch noch seine geistige Trägheit überwindet und ab und an darüber nachdenkt, alte Gewohnheiten durch neue zu ersetzen, wie etwa nähergelegen einzukaufen, mal dabei zu Fuß, und öfter zu gehen oder mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Verkehrsmittel, schon wieder hat man etwas für Fitness und Umwelt getan. Man kann hier durchaus manchmal auf das Auto verzichten. Kritisch muss ich allerdings einwerfen, dass man in größeren Städten nicht unbedingt leicht und gern mit Fahrrad und Anhänger mitten durch den Verkehr fahren will, weil das doch sehr unfallgefährdend sein kann und man ebenso wenig gerne seine Milch-oder Getränkemehrwegflasche weit tragen möchte. Ich sehe durchaus, dass manchmal die Infrastrukturen unserer Umweltfreundlichkeit Grenzen setzen, weil ja die vielen kleinen Läden in der direkten Nachbarschaft in den letzten Jahren verschwunden sind. Verschwunden sind sie aber, weil wir ja gerade sie nicht mehr wollten, denn wir wollten ja mit unseren fetten SUVs lieber bequem parken und das war nur in den Gewerbegebieten möglich. Dafür nahmen wir bereitwillig in Kauf, dass unsere Landschaft mit Betonbaracken und Parkplätzen zugepflastert wurde. Es ist eine selbstverschuldete Entwicklung, die wir durch unser Verhalten in Gang setzten und so auch wieder rückgängig machen können.

Müll kann man reduzieren, indem man weniger Verpackung benötigt und selber Dosen und Tüten mitnimmt, auch, indem man die Art der Verpackung wählt, also auf Plastik verzichtet. Ein bisschen Mitdenken hält den Kopf fit und reduziert Abfälle leicht um zwei Drittel. Bewusst konsumieren, das heißt für mich auch, dass ich überlege, was ich mit meinem Einkauf unterstützen will. Manchmal kann ich nur wählen, entweder Bio oder weniger Müll. Manchmal sind eben die Produkte nicht perfekt umweltfreundlich.

Ich spare Papier, aber vor allem, Drucker- und Kopierpapier, das kann ich bedenkenlos reduzieren. Ich rege in meiner Stadt den Gebrauch von Recyclingpapier an Ämtern und Schulen an, aber auch als Hygienepapier in privaten Haushalten.

An Büchern und Zeitungen spare ich nicht so gern, weil sie für mich meist, wenn auch nicht immer, Kultur und Bildung repräsentieren, geistige Auseinandersetzung mit wichtigen Themen, weil von ihnen Autoren und Journalisten leben, die sich diesen Aufgaben verschrieben haben und meist nur sehr wenig Geld dafür bekommen, nicht selten sogar noch einen Broterwerb zusätzlich ausüben müssen. Ich will sie daher unterstützen dabei, wichtige Gedanken unter die Menschen zu bringen, denn wenn sie es nicht tun würden, wäre kritische politische Meinungsbildung aber auch kulturelle Auseinandersetzung nicht möglich. Zudem kann ich anders mit einem Buch arbeiten, als mir dies am Bildschirm möglich ist. Beides hat Vorteile und ich versuche es sinnvoll abzuwägen.

Ich kann auch ganz leicht auf jene Sparte des Konsums verzichten, die sich in bunten Plastiktretern, Geschenk- und Dekoartikeln manifestiert, in billigem Plastikspielzeug für Kinder, das meist scheußlich aussieht, unästhetisch ist und auch schnell kaputt. Gerade zu den Festzeiten überschwemmen uns die Läden mit ihren meist chinesischen Billigprodukten, die danach bedenkenlos entsorgt werden.

Seit beinahe vierzig Jahren habe ich dieselben Möbel, weil ich mir einmal qualitativ gute, zeitlose Stücke gegönnt habe, die optimal in meine Räume passen und daher noch immer einwandfrei aussehen. Auf einige davon habe ich sogar länger gespart. Mit Kleidung verhält es sich ähnlich. Man muss nicht dem Trend folgen und wöchentlich nach der neuesten Mode gekleidet sein, nur weil der Laden schon wieder neue Stücke hat. Auch mit längeren Zyklen kann man attraktiv aussehen.

Überflüssiger Konsum, der sich in billigen Werbegeschenken, Pröbchen und Beigaben zu anderen Waren darstellt, muss manchmal mit etwas Mühe abgelehnt oder sogar zurückgeschickt werden, was mit etwas weniger Trägheit ganz einfach ist: zurück an den Absender drauf und rein in die Post. Das kommt in der Regel nicht wieder.

Gewünschte Veränderungen kann man mit etwas Kreativität durch Wiederverwendung und Zweckentfremdung, wenn man aus Altem Neues macht, schnell erreichen. Dann kann schon gar nicht mehr von Verzicht gesprochen werden, er ist gar nicht dazu nötig. Man erspart sich den Erwerb neuer Produkte, man produziert sie selbst durch eigene Kreativität. Zum Beispiel hatte ich Handtuchhalter aus nicht benötigten Drahtkleiderbügeln zurechtgebogen, Vorhänge aus übrigen Geschirrtüchern genäht, Kissenbezüge aus Halstüchern und Verpackungen als Windlichter und Blumenvasen verwendet.

Manchmal hätten wir schon viel erreicht, wenn wir auf ein bisschen Trägheit verzichten könnten, wenn wir uns die Mühe machen würden, vorher über unser Tun und unsere Konsumentscheidungen nachzudenken, wenn wir manchmal etwas weniger oft tun würden. Die Wirkung wäre vortrefflich! Aber so flüchten wir uns in die Ausrede: Wenn ich nicht alles tun kann, dann tu ich lieber gar nichts.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil wir einem ewigen Rechtfertigungszwang unterliegen, ganz besonders im Umweltschutz. Er wird von manchen dogmatisch gehandhabt und betrieben mit dem Moralismus, manchmal sogar dem Fanatismus einer Religion. Dann wundert man sich, wenn manche Menschen nicht mehr mitmachen wollen, obwohl doch so logische Gründe dafür sprechen. Denn natürlich sind wir alle nicht perfekt, denn natürlich haben wir manchmal triftige Gründe, das Auto zu nehmen, Transporte, das Wetter, ein kaputtes Knie, ein Baby, unzureichende Verkehrsmittel! Es ist Unsinn, sich das gegenseitig vorzuwerfen.

Dennoch gilt, manchmal auf träge Gewohnheiten zu verzichten, bringt allen etwas!

Andreas Altmann schildert in Gebrauchsanweisung für die Welt folgende Beobachtung: „Doof sein ist leicht, viel leichter, als das Hirn in Betrieb zu nehmen. Das erinnert mich an Passagiere, die nach einem 12-Stunden-Flug in der Ankunftshalle die Rolltreppe benutzen, statt sich vor die erste Treppe zu knien, aus Dank, wieder den Leib spüren zu dürfen. Nichts würde sie physisch hindern, aber sie wollen träge sein. Dieses geistig-körperliche Versumpfen, dieses Fettwerden oben und unten, ist es das, wofür wir leben?“

„Ah, die Routine. Sie ist eines der gefährlicheren Gifte. Vor dem keiner von uns gefeit ist. Sie ist der Erzfeind der Neugier, sie ist das träge Fleisch, der innere Schweinehund, eine wahre Massenvernichtungswaffe.“

Minimalismus versus Opulenz

von Petra Stechele

Karl Lagerfeld hat vor Jahren einmal gesagt: „Zu viel darf nicht genug sein.“

Man könnte das beinahe als DAS Manifest des entfesselten Kapitalismus bezeichnen.

Aber dieser Satz spottet natürlich jeder Logik, denn zu viel ist zu viel. Das ist die schlichte Bedeutung der Wörter. Und dennoch die Natur lehrt uns nicht Knappheit, nicht Freudlosigkeit. Die Natur lehrt uns Opulenz, Fülle, Schönheit. Wenn wir sie nicht stören, ist sie durchaus fähig das hervorzubringen. Sie tut dies, indem sie ihre Abfälle als Nahrung wiederverwendet nach dem Prinzip: Waste is Food. Wir brauchen uns dabei nur einmal einen Kirschbaum in voller Blüte vorzustellen. Nur lehrt sie uns dabei auch die Regel der geschlossenen Kreisläufe.

Fülle, Reichtum und Opulenz sind nur in geschlossenen Kreisläufen möglich, wie das schon Michael Braungart vor langer Zeit festgestellt hat. Solange unsere Produktion, unsere Wirtschaft, unsere Zivilisation dazu nicht in der Lage ist, kann sie sich Opulenz und Fülle nicht erlauben. Sie kann es sich dann nicht erlauben, wenn sie die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen in einem Maße verbraucht, das sich zerstörerisch auf das Leben der Zukunft auswirken muss. Zur Zeit wirbt der World Wild Life Fund (WWF) mit einem Plakat auf dem steht: „5€ retten eine bedrohte Art: dich! Der Amazonaswald schützt auch unser Leben. Schützen wir ihn.“ Das ist ein ernster Aufruf, uns darüber klar zu werden, wie viel wir zerstören von unseren eigenen Lebensbedingungen. Am besten schützen wir ihn, wenn wir uns für den Klimaschutz und gegen die Abholzung einsetzen. Schuld daran ist unser Lebensstil. Wir verbrauchen den Wald für Papier, für Plantagen, für Möbel.

Deshalb sollten wir hier mal den Minimalismus von seiner positiven Seite betrachten. Minimalismus heißt: ich beschränke mich auf das minimal Notwendige. In meinem privaten Leben kann ich das durchaus im Rahmen der geschlossenen Kreisläufe aufbrechen. Wenn ich es schön haben will, kann dekorieren mit Dingen, die ich in der Natur finde, mit Dingen, die ich wiederverwende, die ich aus dem Kreislauf für eine Zeit entferne, um sie später zurückzugeben.

Kürzlich war ich zu Besuch in Amsterdam, in einer Wohngegend mit sehr großen Fenstern zu den kleinen Gassen. Im Vorübergehen bei Dunkelheit sah ich plötzlich in einen hellerleuchteten vorhanglosen, loftartigen Wohnraum – und erschrak: denn er war bis auf den letzten Zentimeter vollgestellt mit Kram, die Leute hatten kaum Platz sich zu bewegen. Küchentheke und Esstisch waren voll mit Fläschchen, Figürchen, Geschirr und, und, und. Die Personen schienen beinahe darin zu verschwinden, erdrückt von all dem Zeug. Sie wirkten unbeweglich, eingeschränkt. Wie ein Teil ihres eigenen Museums. Ich stellte mir vor, darin leben zu müssen.

Ab und an wunderte ich mich, warum meine Nachbarn dreimal so viel Müll haben wie ich, warum bei ihnen ständig der Sperrmüll kommt und der ganze Hausrat vor der Tür landet. Ab und an wunderte ich mich, warum manche Menschen über nichts anderes mehr reden, als über ihre Shoppinggewohnheiten und –gelegenheiten. Ab und an wunderte ich mich, warum die Wohnungseinbrüche die Autodiebstähle an Zahl inzwischen überholt haben. Seit ich dieses Bild sah, wundere ich mich nicht mehr.

Minimalismus entlastet. Ich versuche seit einiger Zeit monatlich einen Wäschekorb voll nicht mehr benötigter Dinge, an das Sozialkaufhaus oder andere Einrichtungen zu spenden. Mit jedem Korb, den ich aus meinem Haus entferne, erleichtere ich mir gleichzeitig das Leben, weil sie meinen Haushalt verkleinern. Ich muss diese Dinge nicht verwalten, nicht umräumen, nicht anwenden, nicht benutzen und nicht pflegen. Zunehmend gewinne ich Zeit für Dinge, die mir wichtiger sind. Vor allem für soziale Kontakte. Selten benötigte Dinge kann man auch einmal ausleihen.

Auch hierzu findet sich ein schönes Zitat bei Andreas Altmann „Und so schleichen die einen davon, während die Müllmänner und Müllfrauen – all jene eben, die gern Müll shoppen – zurück in ihrem Viel-Tonnen-Haus bleiben, vor der Fünf-Tonnen-Garage, der Zwei-Tonnen-Blechkuh, ja sie selbst – die unbeweglichen Stubenhocker – schon zur Tonne mutierten: Weil so viel Besitz keinen Auslauf mehr erlaubt, weil er bewacht, umzäunt, diebstahlversichert, wasserversichert , feuerversichert, sturmversichert, alarmknöpfe-vermint, ja abgestaubt, neu gestrichen, frisch geschmiert, vertieft, erweitert, vergrößert werden muss. Damit sie im Kuhdorf Quakenbrück (nur ein Beispiel) jeden Tag um die Wette protzen können: Wer hat am dümmsten seine Lebenszeit vertan? Wer stirbt als Erster an Raffsucht? Wer will der Reichste auf dem Friedhof sein?“

Ja, so von der Hand zu weisen ist auch dieser Gedanke nicht, denn wie viele erkranken an dieser typischen Krankheit unserer gierigen Zeit, die man Burn-out nennt, arbeiten zu viel shoppen zu viel, oder sitzen zu viel oder zu lange im Büro oder vor den Bildschirmen. Denn zu viel ist eben zu viel! Sie bewegen sich zu wenig?

Ja, ich stelle täglich fest, wie es entspannt, wie es befreit, weniger Dinge benutzen, pflegen und sauber halten zu müssen. Es bringt Klarheit ins Leben. Und auf einmal brennt nichts mehr aus. Auf einmal hat man Zeit, Zeit für das, was Nathalie Knapp in ihrem Buch Kompass neues Denken als Resonanzerlebnisse bezeichnet: intensive Begegnungen und Gespräche mit interessanten Menschen. Begegnungen, die nichts kosten. Oder jene Flow-Erlebnisse, Tätigkeiten, die uns so viel Freude machen, dass wir darin völlig aufgehen.

Zeit eben. Die Zeit, zu leben.

Die Schriftstellerin Colette schrieb einmal: „Ich hatte eigentlich ein wunderschönes Leben. Leider habe ich es zu spät gemerkt.“

Brief an die Kanzlerin

Dipl.-Biol. Stefan Simonis
27, rue du Rhin
F-67860 Rhinau
Tel.: 0(033) 3 88 58 10 36

An
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin

Rhinau, den 21. November 2015

Sehr geehrte Frau Dr. Merkel,

wohl wissend, dass Sie sehr beschäftigt sind, bitte ich Sie, sich die Zeit für diesen Brief zu nehmen. Zunächst möchte ich mich bei Ihnen für Ihre bisherige Haltung in der Frage der Aufnahme neuer Flüchtlinge bedanken. Auch ich bin ein „besorgter Bürger“, der sich fragt, wie wir alle diese Men­schen aufnehmen und versorgen können. Aber selbst wenn die Unterbringungsmöglichkeiten knap­per werden, bin auch ich der Meinung, dass wir Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und vor dem Tod durch Verhungern fliehen, zunächst einmal aufnehmen müssen. Sie Ihrem Schicksal zu überlas­sen, wäre unmenschlich.

Ich bitte Sie daher, weiterhin dafür zu sorgen, dass Menschen in Not bei uns Aufnahme finden. Da­bei sollte die Unterbringung in großen Lagern und Ghettobildung unbedingt verhindert werden, da sie zwangsläufig Aggressionen, Gewalt und Angst nach sich ziehen. Notwendig ist eine schnelle In­tegration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt. Aber ich bitte Sie auch, gleichzeitig für die Beseitigung der Fluchtursachen zu sorgen. Auf die Notwendigkeit hat u. a. Herr Dr. Köhler in einem Interview in der ZEIT vom 24. September 2015 (https://www.zeit.de/2015/39/horst-koehler-fluechtlinge-interview) hingewiesen.

Unser Lebensstil stürzt bereits jetzt Menschen in Not, weil beispielsweise die Stromerzeugung mit­tels Kohle, der Individualverkehr und der Flugverkehr sowie unsere Landwirtschaft Unmengen an Kohlenstoffdioxid ausstoßen und damit den Klimawandel antreiben. Unter den Folgen leidet beson­ders die Landwirtschaft in ärmeren Regionen, sodass dort Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt werden und ihre Heimat verlassen müssen. Bitte setzen Sie sich daher in Paris für wirkungsvolle und verbindliche Maßnahmen zur Einhaltung des Zwei-Grad-Zieles ein.

Unser Wirtschaftsmodell ist menschenverachtend, weil wir durch den Zwang zu ständigem Wachs­tum auf einen steten Ressourcenzustrom angewiesen sind und enorme Energiemengen benötigen. Dies führt dazu, dass in den Ländern, aus denen wir unsere billigen Rohstoffe und Waren holen, in­folge von Verteilungskriegen und Umweltzerstörung Not herrscht und radikale Kräfte leichtes Spiel haben. Längst werden Kriege um Ressourcen nicht mehr nur in entlegenen Ländern geführt. Wie wir am 13. November wieder feststellen mussten, haben wir uns die Konflikte ins eigene Land ge­holt. Ich finde, das beste Mittel gegen diese Feinde ist nicht, Truppen zu entsenden, sondern ihnen die Grundlage für ihren Hass zu entziehen. Die bisherigen Versuche, Stärke zu zeigen, haben stets den Menschenfeinden im In- und Ausland genutzt. Rechte Scharfmacher, die am liebsten alle Flüchtlinge zurückschicken würden, sehen sich in ihrer Haltung bestätigt und die Extremisten in den Herkunftsländern werden dadurch noch mehr zusammengeschweißt. Nehmen Sie diesen Kräf­ten den Wind aus den Segeln und setzen Sie sich bitte für ein faires Handelssystem ein, das es den Menschen erlaubt, menschenwürdig zu leben. Unser bisheriges Wirtschaftssystem trägt nicht zur Lösung der Probleme bei, die es selbst verursacht hat. Es verschärft die Probleme nur weiter. Wenn wir dagegen den Zwang zu ständigem Wirtschaftswachstum – das schon logisch nicht möglich ist – aufgeben, haben wir auch die Chance, von Importen unabhängiger zu werden.

Ich bin mir bewusst, dass es nicht reicht, Bitten und Forderungen an die Politik zu stellen. Auch ich will meinen Beitrag leisten. Ich bemühe mich, ressourcenschonend zu leben. Daher vermeide ich so weit wie möglich Fahrten mit dem Auto, fahre mit Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich er­nähre mich fast ausschließlich von biologisch erzeugten Lebensmitteln, kaufe fair gehandelte Pro­dukte und konsumiere maßvoll. Ich möchte, dass auch unsere Kinder noch ein menschenwürdiges Leben führen können. Das geht aber meiner Überzeugung nach nur, wenn wir alle weniger konsu­mieren, Umwelt und Ressourcen schonen und fair miteinander umgehen. In einem Wirtschaftssys­tem, das auf ständigem Wachstum basiert, wird das nicht möglich sein.

Ich bitte Sie daher: Werden Sie Ihrem eigenen Anspruch als „Klimakanzlerin“ gerecht und sorgen Sie für verbindliche und wirkungsvolle Abkommen zum Klimaschutz. Setzen Sie sich für ein faires Handelssystem ein, das nicht den Großkonzernen, sondern den Menschen in den armen Ländern Entwicklungschancen bietet. Machen Sie sich für eine Postwachstumsgesellschaft stark. Sie wird kommen, ob wir es wollen oder nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Stefan Simonis

UnterstützerInnen:

Alina Kalk, Gengenbach
Jacintha Kellner, Günzburg
Marcus Kiesel, Wuppertal
Mathias Krohn, Axstedt
Johannes Küstner, Berlin
Ursula Mazouz, Merzhausen
Ute Michallik-Herbein, Augsburg
Diane Rauscher, Giebelstadt

Brigitte Rauscher, Giebelstadt
Hans Rochau, Augsburg
Steffen Schürkens, Freiburg
Petra Stechele, Augsburg
Prof. Dr.-Ing.Walter Stechele, Augsburg
Lutz Weseloh, Bremerhaven
Björn Wiele, Hamburg