Earth Overshoot Day 2020

Keine Wirtschaftshilfen ohne Bedingungen
Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
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Wer hat an der Uhr gedreht? Aufgeschoben, nicht aufgehoben!

In diesem Jahr fällt nach Abschätzungen des Global Footprint Networks (GFN) der Earth Overshoot Day, auch Welterschöpfungstag genannt, auf den 22. August1,2. Damit haben wir als Menschheit in diesem Jahr die Rohstoffe und Naturleistungen, die uns die Erde innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellen kann, erst 24 Tage später aufgebraucht, als im Jahr 2019.

Darüber könnte man sich freuen, doch diese Verschiebung des Welterschöpfungstages ist nur der Corona-Pandemie und damit unendlichem menschlichem Leid zu verdanken. Nach Angaben des GFN ist die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks durch den geringeren Holzverbrauch und die geringeren CO2-Emissionen infolge der globalen COVID-19 Quarantänen verursacht. Durch den fast weltweiten Lockdown ist der globale Flugverkehr bis Mitte April gegenüber Anfang des Jahres um 64,5%, bei Frachtflügen um 75,2%, zurückgegangen3, wodurch Lieferketten unterbrochen wurden. Die daraus resultierende Störung in der Lebensmittelversorgung führte zu vermehrten Lebensmittelabfällen auf Seite der Produzenten und andererseits zu mehr Unterernährung und Hunger ärmerer Menschen4. Ausländische Saisonarbeiter konnten nicht mehr ins Land kommen, wodurch diese ihre (magere) Einkommensquelle einbüßten und Feldfrüchte konnten nicht geerntet werden. Viele Menschen wurden arbeitslos, weil Betriebe aufgrund fehlender Vorprodukte oder akuter Infektionsfälle schließen mussten. Von den verheerenden Folgen für die Menschen in Krisengebieten, Flüchtlingslagern und Notunterkünften soll hier gar nicht die Rede sein.

Die Corona-Pandemie hat zum einen gezeigt, wie international verflochten und abhängig unsere Wirtschaft ist. Sie hat aber auch gezeigt, zu was wir als Gesellschaft fähig sind, denn durch rasche und entschlossene Maßnahmen konnten bei uns die Infektionszahlen schnell verringert werden. Der Blick in andere Länder wie USA, Großbritannien oder Brasilien zeigt, was ohne diese drastischen Maßnahmen auch in Deutschland hätte geschehen können. Die Warnungen der Virologen und Epidemiologen ernst zu nehmen und deren Ratschläge zu befolgen, hat sich als hilfreich erwiesen, denn dadurch konnte Schlimmeres verhindert werden.

Warum also hören wir nicht auch auf die Wissenschaft, wenn es um unsere Lebensgrundlagen geht?

Die Bundesregierung hat 1992 mit dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) ein Beratergremium eingerichtet, um unter anderem Umwelt- und Entwicklungsprobleme zu analysieren und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. In einem Sondergutachten „Entwicklung und Gerechtigkeit durch Transformation: Die vier großen I“5 schlägt der WBGU konkrete Maßnahmen für eine gerechte und nachhaltige Weltwirtschaft vor, die von der Politik weitgehend ignoriert werden. Klimaforscher warnen seit Jahrzehnten vor den Folgen des ungebremsten CO2-Ausstoßes, aber unsere Bundesregierung will das letzte Kohlekraftwerk erst 2038 abschalten lassen6. Statt konsequent die Transformation zu einer dekarbonisierten Wirtschaft voranzutreiben, werden veraltete Technologien künstlich am Leben gehalten. Im Bereich der Erneuerbaren Energien haben wir durch das Festhalten an der Kohleverstromung bereits die Photovoltaikbranche in Deutschland ruiniert. Durch unsichere politische Rahmenbedingungen sind dort mehr als 24.000 Arbeitsplätze verloren gegangen7. Für deutsche Autos mit Verbrennungsmotor wird sich bald niemand mehr auf dem internationalen Markt interessieren. In Norwegen werden ab 2025 keine Autos mehr mit Verbrennungsmotor zugelassen. In Dänemark, Indien, Irland, Israel, Niederlande, Slowenien und Schweden ist ab 2030 Schluss damit und andere Länder folgen8. Das bedeutet, spätestens dann werden bei uns die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie verloren gehen. Warum also nicht bereits jetzt andere Antriebs- und Mobilitätskonzepte umsetzen, die neue Arbeitsplätze schaffen? Die Corona-Krise wäre dafür ein geeigneter Anlass. Statt jetzt wieder mit viel Geld die Wirtschaft nach altem Muster hochzufahren, könnten die Gelder jetzt für eine echte Transformation eingesetzt werden.

Wenn wir wieder zu einer Wirtschaftsweise wie vor der Corona-Pandemie zurückkehren, wird die Vernichtung des Naturkapitals weitergehen und die Klimakrise wird weiter verschärft werden. Wir könnten aber jetzt auf die Wissenschaft hören und unsere Gesellschaft zu einer solidarischen, gerechten und nachhaltigen Gesellschaft verändern. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Solange jedoch Gewinnmaximierung vor Gemeinwohl geht und mit Ressourcen verschlingenden, klimaschädlichen Geschäften kurzfristig viel Geld verdient werden kann, wird sich nichts ändern. Noch haben die Vertreter der alten Wirtschaftsweise zu viel Einfluss und es fehlt daher in der Politik am Willen, die Vorschläge der Wissenschaft umzusetzen. Aber das kann sich ändern.

Der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour fordert in seinem Essay „Welche Schutzmaßnahmen können wir uns vorstellen, damit wir nicht zum Produktionsmodell der Zeit vor der Krise zurückkehren?“ die LeserInnen auf, die Zeit im Lockdown zu nutzen, um sich selbst zu fragen, welche Aktivitäten nach der Corona-Krise wieder aufgenommen werden sollen und welche nicht. Die Entscheidungen sollen gut begründet und die Folgen gründlich überdacht werden. Diese Beschreibungen sollen zusammengeführt werden und eine Landschaft aus Konfliktlinien, Bündnissen, Kontroversen und Gegensätzen entstehen lassen, die uns bei der Suche nach einem Weg aus dem alten Wirtschaftssystem hilft.

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die Menschen in unserem Land auch unpopuläre Entscheidungen akzeptieren und mittragen, wenn die Bedrohung erkannt ist und der Weg klar ist, auf dem man die Bedrohung in den Griff bekommen kann. „Wenn in ein oder zwei Monaten Milliarden von Menschen auf der Stelle in der Lage sind, die neue ’soziale Distanz‘ zu erlernen, Abstand zu halten, um mehr Solidarität zu zeigen, zu Hause zu bleiben, um eine Überfüllung der Krankenhäuser zu vermeiden, können wir uns die transformative Kraft dieser neuen Schutzgesten vorstellen, die sich gegen die Wiederherstellung des Bestehenden richten oder – noch schlimmer – gegen eine Offensive derer, die der Anziehungskraft der Erde für immer entgehen wollen“ (Bruno Latour9,10).

Zu den Ursachen der Corona-Krise und den Lehren daraus hatten wir uns bereits im April in einem Beitrag geäußert11.

Informationen zum Overshoot und weiterführende Links dazu findest du beispielsweise auf folgenden Internetseiten:

http://www.footprintcalculator.org/
https://www.fussabdruck.de/
https://www.footprintnetwork.org/
https://www.footprint.at (hier auch weitere Hintergrundinformationen)
https://take5.plattform-footprint.de
https://www.transition-initiativen.de/
https://www.overshootday.org/ (mit Vorschlägen, wie jeder von uns SOFORT seinen Footprint verkleinern kann)

Keine Wirtschaftshilfen ohne Bedingungen
Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

2 Gedanken zu „Earth Overshoot Day 2020

  1. Leider werden die Verantwortlichen nicht genügend lernen und ändern um diesen positiven Effekt einer schlimmen Krise langfristig zu halten und zu verstärken.

    1. Ich wage zu behaupten, dass die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft gar kein Interesse haben, etwas an den bestehenden Verhältnissen zu ändern. Solange mit der Vernichtung unserer Lebensgrundlagen Geld zu verdienen ist, hat die Vernunft es schwer. Bleibt und als Zivilgesellschaft nur die Möglichkeit, diesen Kräften unsere Unterstützung zu entziehen. Politiker, die zu wenig gegen die Klimakrise, gegen die Zerstörung der Ökosysteme und gegen ungerechte Arbeitsverhältnisse unternehmen, nicht mehr wählen. Selbst weniger und nur fair und bio produzierte Waren kaufen. Und natürlich die eigene Mobilität verändern. Mehr Fahrrad, mehr öffentliche Verkehrsmittel nutzen und besser gar nicht fliegen. Und vieles mehr.

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