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Alle Beiträge von Stefan

Reisen

von Petra Stechele

Die Deutschen seien darin Weltmeister, kann man vielerorts hören. Humboldt hat es uns vorgemacht. Das Entdecker-Gen, das kürzlich die Wissenschaft in der DNA mancher Menschen gefunden hat, ein Teil der Deutschen hat es also geerbt. Sie besonders sind von Neugier getrieben, sie zieht es hinaus in die Welt. Unser Wohlstand ermöglichte es uns, aufzubrechen. Die Strukturen unserer Arbeitswelt ließen uns die Freizeit dafür.

Reisen ist ein Urtraum der Menschheit, ein Antrieb, die Welt zu erkunden, zu erforschen, seinen Erfahrungsraum auszudehnen, Grenzen auszuloten. Ein Antrieb, der die Zivilisation vorantreibt, die Menschen vom Tierreich abhebt. Homo sapiens, der, der weiß und wissen will. Der aber zunehmend auch erkennen sollte, wo seine Grenzen liegen und wann er seine Existenz und die seiner Mitmenschen in Gefahr bringt. Der, der mit seinem Wissen schöpferisch sein, der heilen kann, aber auch gefährden und zerstören. Der, dessen Gier aber zunehmend unsere Erde ausbeutet und „verbraucht“, auf Kosten der Nachwelt.

Reisen war ein Machtinstrument, von je her. Wer die Mittel hatte, der konnte seine Machtansprüche ausdehnen und in die Welt hinaustragen, der konnte erobern, Kolonien unterhalten und Handelswege ausbauen, der konnte damit Wirtschaftsmacht aufbauen. Abdalrachman Munif beschreibt in seinem Roman „Salzstädte“, wie die freien unabhängigen Beduinen durch die ölsuchenden Amerikaner langsam in den Bann der modernen Technik geraten und die lokalen Scheichs durch Einsatz moderner Medien erstmals überhaupt zu Machthabern werden, weil sie ihren Willen „broadcasten“ können, kundtun und versenden. Damit werden die Menschen zu Untertanen, zu Mitläufern und Gegnern, damit entstehen Politik und Machtausübung. Unfrieden kann weitergetragen werden. Aus einem Streit wird ein Krieg. Damit fallen sie dem Machtstreben des Westens anheim. Schon viel früher hatten die ersten Global Players weltweiten Handel betrieben. Die Welser hatten die ersten Sklavenmärkte in Coro in Südamerika begründet, ganze Gebiete entvölkert und Menschenhandel betrieben, um ihre Kolonie zu unterhalten. (J. Denzer, 2003)

Reisen, begonnen hatten sie mit mühsamen und abenteuerlichen Expeditionen auf den Rücken von Tieren oder in selbst gebauten Schiffen. Die ersten davon hatten Jahre in Anspruch genommen und viele Opfer gefordert. Menschen hatten sich dafür in Lebensgefahr begeben und oft auch mit ihrem Leben bezahlt. Opfer, die nicht gescheut wurden, wir haben den Mond erreicht und sind ins Universum vorgedrungen. Doch die Reisen für jedermann, die sind es nun, die zunehmend in den Fokus der Kritik geraten, weil sie mehr als alles zuvor globalen Schaden anrichten. Reisen, die mit der Demokratie für fast jeden zugänglich wurden und dadurch zum Massenphänomen, wurden damit zu einem Problem.

Reisen ist Selbsterkenntnis. … „Reisen“ – sagt Andreas Altmann „[…] ist natürlich auch eine Reise in das eigene Herz.“ Immer erfährt man etwas über die Welt, über die Menschen und über sich selbst.

„Reisen ist wie Geschenke einsammeln.“ So sagt er. „Wer Glück hat, der geht jeden Tag – überhäuft damit – schlafen.“

„Reisen strengt an. Nie bleiben können, immer Abschied nehmen und Weggehen, das höhlt, das leert das Herz.“

Reisen bildet. Es öffnet uns für fremde Menschen und Kulturen, die wir nicht kennen und verstehen würden, wenn wir ihre Länder und Kontinente nicht bereist und über sie erfahren, gelesen oder Filme gesehen hätten. Es hat uns auch eine neue Empathie gegeben, weil wir erkennen, welche „Zumutungen anderen zugemutet werden“. Es gewährt uns aber auch „Einblicke in die eigenen Abgründe“ und Engstirnigkeiten.

„Reisen“, so sagt er auch „ist Flucht“ vor den „immer gleichen Bewegungen“, dem „gleichen Stumpfsinn des Überlebens“, „ein zweites Leben […] ein anderes, ein für die Plattheit des Alltags unerreichbares.“ Aber was bringt uns dazu, zu flüchten? Eben genau jene Arbeitswelt, der wir unseren Wohlstand einerseits verdanken, die uns aber zunehmend mit ihrem Leistungs- und Wachstumszwang, mit ihrem Drängen nach Überall-von-allem-immer-mehr-und–immer-schneller in zunehmende Unfreiheit und unerträgliche Zwänge stürzt und unser Leben zu Hause oft kein wirkliches Leben mehr sein lässt. Müssen wir also nicht zuerst unser tägliches Leben lebenswert einrichten, statt die Flucht zu ergreifen und dem Reisen damit den ihm gebührenden Stellenwert zuweisen?

Reisen ist ein Wirtschaftsfaktor. Ganze Landstriche, ganze Staaten leben davon, dass Touristen kommen. Wenn sie ausbleiben, ist das „Wirtschaftswachstum“ in Gefahr. Und die wenigsten können sich vorstellen, wie Wirtschaft ohne Wachstum aussehen kann. Das liegt aber nur daran, dass wir nicht gewohnt sind, anders zu denken. Wer in die Geschichte blickt, der weiß, dass all diese Dinge ihre Anfänge haben. Jahrtausende haben Menschen gelebt, ohne eine Ahnung vom Wirtschaftswachstum zu haben. Doch fraglos hat es dazu geführt, dass auch „kleine Leute“ reisen können. Doch genau das gerät jetzt in Gefahr. Mit der Krise, die sich als Weltkrise, als Umweltkrise präsentiert, wird das immer fragwürdiger und es muss zuerst eine „gerechtere“ Verteilung der Güter und des Wohlstandes stattfinden. Auch die Kritik am Reisen wurde erst dadurch möglich, dass wir selbst die Folgen unseres Tuns in anderen Ländern vor Augen haben. Wir haben auch in der Flüchtlingskrise ein Symptom dieser Weltkrise zu sehen, die wir selbst mitverursacht haben. Wenn in diesen Ländern die Lebensumstände unerträglich werden, nehmen die Menschen in ihrer Verzweiflung die lebensbedrohlichen Gefahren einer Flucht auf sich.

Reisen ist nötig. Viele Berufe sind auf Reisen angewiesen. Nachrichten aus aller Welt können uns nur in unabhängiger Form zukommen, wenn eigene Reporter in der Welt unterwegs sind. Firmen produzieren im Ausland, haben Zweigwerke in anderen Ländern eingerichtet. Wir sind gewohnt Produkte von überall her zu bekommen, Waren werden unzählige Male zwischen Kontinenten hin- und hergeschickt, bis sie ihr Endziel erreichen. Wissenschaft lebt vom Austausch: Studien, Spracherwerb und Ausbildungen werden teilweise im Ausland absolviert, um den Horizont zu erweitern, Austausch wird als wesentlicher Ausbildungsteil gesehen. Längst sind Familienmitglieder in alle Himmelsrichtungen verstreut und werden natürlich auch besucht. Die Globalisierung ist nicht umkehrbar. Sie hat uns längst alle erreicht.

Reisen ist Luxus. Im Herbst findet in Nürnberg eine Podiumsdiskussion statt, bei der es um nachhaltiges Reisen und um Qualität beim Reisen gehen soll. Aber was ist das eigentlich? Gibt es nachhaltiges Reisen. Einer der Teilnehmer ist der Meinung, dass es sich um Selbstbetrug handelt, denn Reisen wird nie nachhaltig sein. Das ist richtig, denn sobald Verkehrsmittel benutzt werden, kann davon nicht mehr gesprochen werden. Der Einsatz fossiler Brennstoffe als Energieträger ist nicht nachhaltig und auch die Hotels sind es nicht. Sobald wir nicht Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen, schädigen wir die Umwelt. Billigflüge aber gefährden unser Klima im besonderen Maß, weil Flugzeuge ihr Abgas in einer Höhe ausstoßen, die besonders klimarelevant und sensibel ist. Überall, wo in Massen verbraucht wird, entsteht ein Nachhaltigkeitsproblem. Überall, wo Menschenmassen in die Natur vordringen, leidet diese darunter. Überall, wo in Massen konsumiert wird, entstehen auch Schäden durch übermäßigen Ressourcenverbrauch und Müll. Ganz abgesehen davon, dass bei vielen Reisenden nicht einmal das Bewusstsein dafür vorhanden ist.

Das soll aber nicht besagen, dass man nicht die Schäden reduzieren kann, in dem man das umweltfreundlichste Verkehrsmittel wählt und Unterkünfte, die sorgsamer mit Material und Müll umgehen.

Reisen ist zu hinterfragen. Es muss sich gefallen lassen, dass besonders sorgfältig abzuwägen sein wird, ob der Nutzen einer Reise den Ressourcenaufwand und den verursachten Schaden in irgendeiner Weise rechtfertigen kann und auch wie diese zu reduzieren sind und Schäden ausgeglichen werden können.

Kürzlich las ich ein Interview mit dem Protagonisten des Films „Boyhood“, E. Coltrane. Er sagte nun, nach dem Ende des Films wisse er noch nicht, was er werden wolle, denn: „Warum soll ich jetzt ein Leben aufbauen, von dem ich weiß, dass es in zehn Jahren so nicht mehr zu leben ist.“

Der Satz klingt deprimierend, entspricht aber wohl eher einer gewissen Nachdenklichkeit. Coltrane geht vielmehr davon aus, dass unsere Kultur so, wie sie sich derzeit darstellt, ein Auslaufmodell sein wird und sich etwas Neues auftut, „er möchte nicht Teil eines Problems sein, sondern nach Lösungen suchen“. Wir kennen noch nicht die Antworten, aber immerhin die Fragen. „Ich will lernen, ein Mensch zu sein.“ so sagt er.

Über Schönheit und Konsum

von Petra Stechele

Im Ausland stellte sie fest, dass die Verwandlung von Musik in Lärm ein weltweiter Prozess war, der die Menschheit in die historische Phase der totalen Hässlichkeit eintreten ließ. Die Totalität der Hässlichkeit äußerte sich zunächst als allgegenwärtige akustische Hässlichkeit: Autos, Motorräder, elektrische Gitarren, Pressluftbohrer, Lautsprecher, Sirenen. Die Allgegenwart der visuellen Hässlichkeit würde bald folgen“, sagt Milan Kundera in „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. „Ohne es zu wissen, komponiert der Mensch sein Leben nach den Gesetzen der Schönheit, sogar in Momenten tiefster Hoffnungslosigkeit.“

Wahrnehmung ist individuell und unterliegt zeitbedingtem Wandel. Schönheitsideale verändern sich. Globalisierung und „Massenkonsum“ haben eine Welt der „Massen“ entstehen lassen, in der alles auf ein grausiges jämmerliches Mittelmaß nivelliert wird. Da nützt uns auch das Guinness-Buch der noch viel traurigeren Rekorde nichts, die nur beweisen, was Menschen tun, um einmal im Leben “jemand zu sein“. Immer absurder werden die Versuche, denn leicht ist es nicht, sich hervorzutun – und hervortun müssen wir uns.

Wer sich die meisten Reißzwecken durch die Zunge pierct oder einbeinig über Flaschenhälse balancieren kann, fühlt sich als Held, als Held der Flaschenhälse und Reißzwecken. Wir müssen Bungee springen, um unser Herz schlagen zu hören, weil man uns schon Shopping als Abenteuer verkauft. Herausragen aus der Masse! Irgendwie muss es doch möglich werden! Der Konsum wird beständig angekurbelt damit, dass man uns einredet, wenn wir ein Produkt erwerben, dann sind wir ein ganz anderer Mensch, ein viel besserer, ein ganz besonderer. Und wenn wir feststellen, dass es auch diesmal wieder nicht geklappt hat, dann kaufen wir das nächste, fallen auf ein anderes Produkt herein. Diesmal – aber wirklich! – macht es uns schöner, begehrenswerter, erfolgreicher, gefragter, besonders!! Für wie lange?

Das bringt uns die verlorene Schönheit nicht wieder. Architekten betrauern die tristen gleichförmigen Vorstädte, Horte ideenloser Fadheit und Monotonie. Gebäude, die nach 12 Jahren abgerissen werden, billig und hässlich erbaut, nur auf kurzfristigen Nutzen getrimmt, rücken sie uns als Geschwüre im Stadtbild ins Blickfeld. Geschäfte verkommen zu Baracken in Gewerbezentren, ein Shoppingkarree reiht sich an das andere, Konzentrationslager des Konsums. Der fahle leidende Konsument darin hechelnd im Entscheidungszwang, unfreundlich misshandelt von gehetzten Verkäufern, frönt seinem zwanghaften Wahn, fürchtet zu „verhungern“, wenn er nicht sofort wieder „Nahrung“ bekommt, „Food“, das morgen schon „Waste“ ist. Die meist rotgelben, ab und an noch blauen, um Aufmerksamkeit buhlenden Werbeschilder gieren billig billig billig nach uns und lassen uns noch fahler erscheinen. Nuancen verblassen zur Farblosigkeit unter den Knalleffekten und bringen der Ästhetik den raschen Tod auf pinkfarbenen und speigrünen chinesischen Gummitretern, frisch entronnen dem 1Euroshop, der nichts hat, was irgendjemand wirklich bräuchte.

Ferienhaussiedlungen, die ganze Gebirgszüge säumen, Landflächen bedecken, für die Hügel abgetragen wurden, um ihnen Reihenhäuser aufzusetzen, die die meiste Zeit unbewohnt sind. Seen und Flüsse entwässert, um Swimmingpools zu füllen in endlosen Siedlungen von einförmiger Künstlichkeit und Golfplätze zu berieseln. Felder, die folienbedeckt und giftbesprüht sich erstrecken, soweit das Auge reicht, Strände gesäumt von Betongeschwüren.

Megacities, leerstehende Hochhaustürme, Kunstinseln, die sich das Meer zurückholt. Menschen schrumpfen zu Ameisen und Käfern, im Dunkel von U-Bahnschächten bleich und zerknittert in Ölmief und Gestank überhitzter Bremsen, ohne Licht, ohne Sonne, ohne einen Hauch von Luft, außer der Zugluft, die die Ausdünstungen Hunderter hastender Menschen durch die Schächte peitscht. Nichts sehen von der Stadt, von der Welt, bleiche Maden, die irgendwo blinzelnd ans Licht kommen, orientierungslos auftauchen im Abgas der sich stauenden Pkws durch bombastische Regierungs- oder tote Büroviertel.

Orte, Natur, die man früher als schön empfand, werden nun unbetretbar, ohne Gegenwehr zerstört, was einst alle anzog. Tourismus fällt wie Heuschrecken ein, weidet Gebiete ab, den Kahlschlag ästhetischer Vernichtung zurücklassend.

Die Macht der Verführung , die Schwäche der Verführbarkeit weltweit, der kein Volk letztlich widerstand. Weil wir nichts durchschauen, übernehmen wir die Verantwortung für unsere (politischen) Entscheidungen nicht. Wir haben ein fehlgeleitetes Schönheitsideal: Normiertes, Wiederholbares, „Geschöntes“, Monotones erscheint als schön, nicht das Einzigartige, das Besondere. So erzeugen wir Massenkultur und Langeweile – und gieren nach Neuem, immer wieder Neuem. Und doch bleibt es bloß Masse, Massenware. Welch ein Widerspruch! Unser Versuch einzigartig sein zu wollen, erreicht das genaue Gegenteil.

„Lieber flüchten, um der Niedertracht des Alltags zu entkommen, dem Geheul der Wachstumsnarren und ihren penetranten Aufrufen zum Anhäufen von Klimbim. Nie habe ich einen dieser Marktschreier plärren hören: „Lasst euer Hirn anschwellen! Mehrt euren Mut! Werdet tapferer! Verschwendet mehr Liebe! […] Steigert euren Empathie-Quotienten! Vervielfacht eure Sehnsucht nach den – André Gide hat darauf bestanden – émotions fortes, den starken Gefühlen! Ja, denkt mehr! Lest mehr! Spürt mehr!“ Nie gehört. Nur ihren ultimativen Krimskrams wollen sie loswerden, dessen Erwerb die Glücksspanne von fünf Minuten nicht überschreitet.

[…] Wollen wir nicht, wenigstens ab und zu Aristoteles zuhören, der eines blau strahlenden Morgens vor 2400 Jahren auf dem Marktplatz von Athen stand und entzückt ausrief. „Noch nie sah so viele Dinge, die ich nicht brauche!“

Und so schleichen die einen davon, während die Müllmänner und Müllfrauen – all jene eben, die gern Müll shoppen – zurück in ihrem Viel-Tonnen-Haus bleiben vor der Fünf-Tonnen-Garage, der Zwei-Tonnen Blechkuh, ja sie selbst – die unbeweglichen Stubenhocker – schon zur Tonne mutierten: Weil so viel Besitz keinen Auslauf mehr erlaubt, weil er bewacht, umzäunt, diebstahlversichert, alarmknöpfe-vermint, ja abgestaubt, neu gestrichen, frisch geschmiert, vertieft, erweitert, vergrößert werden muss. Damit sie im Kuhdorf Quakenbrück (nur ein Beispiel) jeden Tag um die Wette protzen können: Wer hat am dümmsten seine Lebenszeit vertan? Wer stirbt als Erster an Raffsucht? Wer will der Reichste auf dem Friedhof sein. Wer hat noch immer nicht kapiert, dass hinter Quakenbrück die Welt anfängt?

Die intensive Beschäftigung mit erlesen abgestimmtem Zubehör als Ersatz für ein lauwarmes Herz.

Aber ich fühle, als wäre ich die Erde selbst. Jede Warze Hässlichkeit, jeder Betonklotz, jede Schneise Raffgier in einen Wald, jeder Ruf nach noch mehr Luxus, nach noch mehr Fressen, nach noch mehr Ansprüchen, nach noch mehr „Nie-den Hals-Vollkriegen“ ist ein Schwinger auf mein Herz. Ich verkrafte sie einfach nicht mehr, die Profitganoven, deren Maß aller Dinge einzig ihre Maßlosigkeit ist.

Wie sagte es Karl Lagerfeld kürzlich: „Zu viel darf nicht genug sein.“ ( gesamter Textauszug aus „Gebrauchsanweisung für die Welt“ von Andreas Altmann)

Romantischere“ Lebensstile blühen zum Glück als Gegenbewegung auf: Generationenhäuser, Selbstversorgerdörfer, (Künstler-)Wohngemeinschaften, Sharing und Upcycling-Ideen, Nahrungsmittelkooperativen und vieles mehr. Warum nicht hier Einzigartiges leisten? Warum nicht ohne Ausbeutung der Natur, der Welt, kreativ leben, wirklich etwas erleben, etwas erzeugen, etwas kreieren? Warum nicht hier etwas Neues wagen?

Kohleatlas

Daten und Fakten über einen globalen Brennstoff

kohleatlas2015_titel_rgbHeinrich-Böll-Stiftung,
BUND 2015
Berlin. 52 Seiten.

Deutschland ist Weltmeister! Bei der Förderung von Braunkohle. Aber nicht nur die Braunkohle, auch die Steinkohle hinterlässt Spuren. Ein Viertel der deutschen Treibhausgase stoßen die 30 größten Kohlekraftwerke aus. Doch mit seinem Kohlehunger steht Deutschland weder in Europa noch in der Welt alleine da. Die Regierungen der 20 größten Industriestaaten subventionieren die Suche nach neuen fossilen Rohstoffen jährlich mit vielen Milliarden US-Dollar, obwohl diese Projekte keine Zukunft haben.

Hinzu kommen die teilweise dramatischen Schäden am Klima, an der Umwelt und am Menschen. Von all dem berichtet der Kohleatlas. Er erscheint zu einer Zeit, in der gerade in Deutschland eine intensive Diskussion um die Zukunft des Energiesektors in Gange ist. Tatsächlich geht es um den schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung. Der Kohleatlas zeigt in verständlichen Texten mit anschaulichen Grafiken: Das ist ist technisch möglich und nötig.

Der Kohleatlas kann kostenlos bei der Heinrich-Böll-Stiftung oder BUND heruntergeladen werden.

 

Hybris

Die überforderte Gesellschaft

140521_miegel_hybrisMeinhard Miegel
Propyläen 2014, bpb
Berlin. 313 Seiten.

Die exzessive Entwicklung unserer Lebenswelt, die der Bonner Sozial­wissenschaftler Meinhard Miegel eindringlich schildert, überfordert alle: Einzelne und Gruppen, Unter­nehmen, Schulen und Universitäten, Parteien, Regierungen und internationale Organisationen. Ob entfesselte Finanzmärkte, aus dem Ruder laufende Großprojekte, dysfunktionale Bildungs- und Infrastrukturen, drogenverseuchter Sport oder der tägliche Verkehrskollaps – die Kosten dieser Maßlosigkeit sind enorm, keine Volkswirtschaft kann sie auf Dauer stemmen. Und es sind nicht nur materielle Kosten, sondern zunehmend solche der Lebensqualität und der menschlichen Existenz. Habsucht, Gier und Maßlosigkeit hat es immer gegeben. Aber sie galten als Laster. Heute gelten sie als Tugend. In dieser Hybris liegt der Kern der Krise von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Lösung des Problems ist erprobt und zuverlässig: Es ist die Kunst der Beschränkung – die Rückkehr zu einem menschlichen Maß, das unseren individuellen, gesellschaftlichen und natürlichen Ressourcen entspricht und sie in ein neues Gleichgewicht bringt. Worin diese Kunst besteht, macht Miegel an vielfältigen Beispielen eindrucksvoll deutlich.

In seinem Buch „Hybris“ geht der konservative Denker Miegel auch deutlich auf die aktuelle Übernutzung der weltweiten Ressourcen ein und weist darauf hin, dass die gängigen Denkmuster die Zerstörung des Planeten zur Folge haben. Ständiges Wachstum ist in einer begrenzten Welt schlicht nicht möglich. Kein besonders origineller oder neuer Gedanke, aber offensichtlich ist das Problem auch in konservativen Kreisen erkannt. (Stefan)

Besprechungen:

ÖkonomenBlog: Das richtige Maß entdecken.
FAZ: Wir sind doch keine rosa Plüschhasen.
ZeitOnline: Höher! Mehr! Sofort!

Spitzkohl-Curry

Dieses vegane Essen lässt sich prima das ganze Jahr über kochen. Spitzkohl, Möhren, Zwiebeln  und Kartoffel kommen als regional Waren direkt vom Feld oder lassen sich gut lagern. Das Spitzkohl-Curry ist leicht zubereitet und passt gut zu Reis oder Fladenbrot.
Für 4 Personen.

1 Spitzkohl, klein (ca. 600g)
3 Kartoffel, mittelgroß
3 Möhren
1 Zwiebel
1 Knoblauchzehe
1 kleine Stück Ingwer
1 Chilischote
2 EL Öl
1 EL Curry
1 TL Kreuzkümmel
200 ml Kokosmilch
250 ml Gemüsebrühe
100g Linsen
Salz
Pfeffer
1 Prise Zucker

Den Spitzkohl vierteln, den Strunk entfernen und den Kohl in Streifen schneiden. Kartoffeln schälen und in ca. 2 cm große Würfel schneiden. Die Möhren putzen und in Scheiben schneiden. Zwiebeln und Knoblauch fein hacken, Chilischote ohne Kerne fein würfeln. Das Gemüse in Öl andünsten, Curry und Kreuzkümmel dazu geben und kurz dünsten. Kokosmilch und etwas Gemüsebrühe zugießen und 10 Minuten zugedeckt köcheln lassen. Die Linsen dazugeben und weitere 10 Minuten köcheln lassen. Gelegentlich umrühren und aufpassen, dass das Gemüse nicht anbrennt. Gegebenenfalls Gemüsebrühe zugießen. Mit Salz, Pfeffer und einer Prise Zucker abschmecken.

Quelle: Chefkoch.de

Der geschenkte Planet

Nach dem Öl beginnt die Zukunft

der geschenkte planetArmin Reller & Heike Holdinghausen
Westend Verlag 2014, bpb 2015
Frankfurt am Main. 224 Seiten.

Heilung von der Ölsucht

Öl wird teuer und knapp, das steht fest. Doch ist damit das Ende des Ölzeitalters bereits eingeläutet? Und wie kann der Übergang in eine postfossile Welt gelingen? Armin Reller und Heike Holdinghausen zeigen, welche Chancen wir nutzen sollten, damit nach dem Öl die Zukunft beginnen kann.

Erneuerbare Energien aus Wind und Sonne, geschickt an regionale Bedürfnisse angepasst; recycelbare Kunststoffprodukte, die lange genutzt werden; Verfahren, die Kohlenstoff aus Kohlendioxid als Rohstoffbasis nutzen. Welche Wege sollten wir weitergehen? Die Autoren klären in ihrem Buch „Der geschenkte Planet“ auf, machen aber auch klar: Technik allein ist niemals nachhaltig, immer kommt es darauf an, wie sie genutzt wird. Unsere Verantwortung für die Erde verlangt von uns, überlegt und bewusst mit den Ressourcen umzugehen. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft wird nur gelingen, wenn wir Bürger an Infrastruktur- oder Industrieprojekten beteiligt werden. Bildung und Demokratie sind daher vielleicht die wichtigsten Ressourcen der Rohstoffwende.

Die Wegwerfkuh

Wie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun können.

die wegwerfkuhTanja Busse
Blessing Verlag 2015
München. 288 Seiten.

Sie nennen es Effizienz – doch in Wahrheit ist es ein System gigantischer Verschwendung.

Die deutsche Landwirtschaft produziert immer mehr Milch, Fleisch und Eier in immer kürzerer Zeit. Die Effizienz scheint ihr bestes Argument zu sein. Nur mit den Methoden der Agrarindustrie könne man neun Milliarden Menschen ernähren, behaupten deren Anhänger.

Doch diese Hochleistungslandwirtschaft ist eine Verschwendungs- und Vernichtungslandwirtschaft . Sie erzeugt Milchkühe, die – bei einer natürlichen Lebenserwartung von zwanzig Jahren – schon nach drei Jahren im Melkstand geschlachtet werden. Sie werden zu einer so hohen Milchproduktion getrieben, dass sie krank und unfruchtbar werden.

Gleichzeitig können die meisten Bauern nicht mehr autonom handeln, weil sie abhängig und hoch verschuldet sind. In der Geflügelmast verkaufen wenige große Konzerne Küken, Futter und Medikamente an die Landwirte und nehmen ihnen nach der Mast die schlachtreifen Hühner ab. Die Preise bestimmen die Unternehmen – die Stallkosten und das Risiko für die Aufzucht tragen die Bauern, die sich trotzdem der Logik der Industrie beugen.

In ihrem neuen Buch Die Wegwerfkuh belässt Tanja Busse es nicht bei der schonungslosen Kritik der Missstände und Abhängigkeiten, sondern zeigt auch Wege zu einer nachhaltigen Landwirtschaft auf.

Die Wegwerfkuh ist für bewusste Konsumenten interessant, die hinter die Kulissen der Agrarwirtschaft schauen wollen.“ Hannah Schon, UGBforum (26.03.2015)

Pasta e ceci

Pasta mit Kichererbsen

Hier ein Klassiker der italienischen Küche, der ohne Fleisch auskommt. Und wenn man auf den Parmesankäse verzichtet, ist dieses Rezept sogar vegan. Sicherlich ist die Verwendung von Dosentomaten nicht ganz stilecht, aber besser als im Winter frische Tomaten aus dem Warmtreibhaus oder gar Übersee zu nehmen. Man kann aber auch die Tomaten weglassen und hat damit nochmal seinen Footprint verkleinert. Es schmeckt (mir) noch immer sehr lecker. Im Sommer dürfen es natürlich gerne frische Tomaten aus dem Garten sein.

Zutaten:

1 EL Olivenöl
1 mittelgroße Zwiebel
3 Rosmarinzweige
2 Knoblauchzehen, geschält und zerdrückt
1 kleine Dose gehackte Tomaten
200 g  Paste (Penne oder andere kurze Pasta)
200 g getrocknete Kichererbsen
800 ml Wasser oder Gemüsebrühe
Salz
Pfeffer
Parmesan

Zubereitung:

Die Kichererbsen in reichlich Wasser einweichen. Nach etwa 12 Stunden das Wasser abgießen und die Kichererbsen in frischem Wasser ca. 1 Stunde lang weich kochen.
In der Zwischenzeit die Zwiebel und die Rosmarinzweige in dem Olivenöl andünsten bis die Zwiebeln weich sind. Den Knoblauch hinzufügen, eine halbe Minute andünsten, ggf. Tomaten dazugeben und 5 bis 6 Minuten köcheln lassen. Die Rosmarinzweige entfernen. Zwei Drittel der weich gekochten Kicherebsen und das Wasser dazugeben. Aufkochen lassen. In der Zwischenzeit die übrigen Kichererbsen mit einer Gabel zermatschen und mit der Pasta in das kochende Wasser geben. Kochen lassen bis die Pasta weich ist. Mit Salz und Peffer abschmecken und Parmesan nach Belieben dazugeben.

Die Entscheidung

Kapitalismus vs. Klima

kleinNaomi Klein
S. Fischer Verlag 2015
Frankfurt am Main. 704 Seiten.

Vergessen Sie alles, was Sie über den Klimawandel zu wissen meinten: Es geht nicht nur um CO2-Emissionen, es geht um den Kapitalismus!
Die weltbekannte Aktivistin Naomi Klein weckt uns aus der kollektiven Ohnmacht angesichts der Klimakatastrophe. In einer packenden Vision zeigt sie, dass wir uns dieser existentiellen Herausforderung stellen können. Wir müssen unser Wirtschaftssystem des Immer-mehr aufgeben und etwas radikal Neues wagen. Denn überall auf der Welt gibt es bereits überraschende und inspirierende Alternativen.
Brillant gedacht, fundiert recherchiert, hoffnungsvoll und spannend. Ein Buch, das aufrüttelt und Lust auf die Zukunft macht.

»Die Klimakatastrophe kann die Welt zum Besseren ändern.«
— Naomi Klein

»Naomi Klein befasst sich in ihrer unbestechlichen, leidenschaftlichen und akribischen Art mit den größten und drängendsten Fragen unserer Zeit. Ihr Werk hat die Spielregeln der Debatte verändert. Für mich zählt sie zu den inspirierendsten politischen Vordenkern der Welt von heute.«
— Arundhati Roy

»Zweifellos eines der wichtigsten Bücher des Jahrzehnts.«
— Amitav Ghosh

»Naomi Klein ist ein Genie. Sie hat für das Feld der Politik das geleistet, was Jared Diamond für die Erforschung der Geschichte des Menschen getan hat. Meisterhaft verwebt sie politische, ökonomische und historische Fakten und verdichtet sie zu einfachen und mächtigen Wahrheiten mit universeller Anwendbarkeit.«
— Robert F. Kennedy, Jr.

»Naomi Kleins klare Sprache und ihr Scharfsinn, machen Lust auf Veränderung und verdeutlichen die Notwendigkeit zum sofortigen Handeln.«
— Charlize Theron

»Eine mitreißende Pflichtlektüre!«
— Michael E. Mann, Direktor des Earth System Science Center an der Pennsylvania State University

Fast nackt

Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben

fast nacktLeo Hickmann
Piper Taschenbuch 2008
München. 320 Seiten.

Ein Jahr mit gutem Gewissen leben.
Fair-Trade-Apfel aus Übersee oder heimischer Bioapfel? Was halten auswaschbare Windeln aus? Ein Jahr lang hat der Londoner Journalist Leo Hickman versucht, ohne schlechtes Gewissen zu leben: gesunde Ernährung, schonender Umgang mit natürlichen Ressourcen und der Versuch, bestimmten Großkonzernen seine Kaufkraft zu entziehen. Mit viel Witz berichtet er davon, wie er und seine Familie sich erfolgreich umgestellt – und damit ihr Leben von Grund auf umgekrempelt haben.

Hickman zeigt in seinem Buch „Fast nackt“ wie schwierig es ist, mit einem guten Gewissen – also möglichst kleinem Footprint – zu leben. Er schildert die Zerrissenheit, die entsteht, wenn die eigenen Ansprüche sich schlecht mit dem gewohnten Leben, eigenen oder eingeredeten Bedürfnissen und Erwartungen von außen vereinbaren lassen. Daraus entstehen zum Teil recht skurrile Situationen.  Das Buch enthält viele Tipps, wie man sich auf den Weg zu einem zukunftsfähigen Leben machen kann und welche Befriedigung das bedeutet. (Stefan)

Rezension:
perlentaucher.de