Teilzeithelden

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Brief an die Kanzlerin
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von Petra Stechele

Ich bin für die Umwelt nur als Teilzeitheldin unterwegs.

Ich habe Tage, da bin ich schwach, träge, da bin ich müde, da kränkle ich, da bin ich nicht willens, mich zu allem Ärger mit der Welt auch noch mit dem Umweltschutz herumzuplagen. Tage, an denen will ich mich nicht mit dem Fahrrad abmühen, weil mir der Sturm zu heftig ist und ich einen Schnupfen oder Kopfweh habe. Tage, an denen das Fahrradfahren keine Freude macht.
Ich besitze ein Auto und dann nehme ich es, weil es mir das Leben erleichtert, weil es meine Befindlichkeit verbessert, meine Verletzungen kuriert, weil ich es vollladen kann, mit allem, was ich brauche. Dann versuche ich, möglichst mit einer Runde alles zu erledigen, damit ich nicht fünfmal herumkurven muss.

Es gibt Momente, da will ich mal anders aussehen und habe ein tolles Kleidungsstück entdeckt, das nicht in das Umweltkonzept passt, aber eben toll ist zum Ausgehen. Es steht mir super! Dann nehme ich es – und freue mich, wenn andere feststellen, dass ich darin gut aussehe. Wenn sie mir Blicke schenken, die ich anders nicht bekomme.

Es gibt Momente, da möchte ich etwas essen, das nicht die ökologischen Kriterien erfüllt, weil ich eingeladen bin, weil es für mich der Inbegriff der Freude ist, Teil eines Festes, eine Belohnung für etwas, Teil der Geselligkeit mit anderen. Dann denke ich nicht darüber nach, vermiese niemand den Abend, dann esse oder trinke ich es.

Ich finde, dass es niemandem zusteht, mich dafür zu verurteilen. Denn niemand ist perfekt. Wir können den Umweltschutz nicht mit dem Fanatismus der Religionen betreiben, nicht indem die einen Gruppen die anderen abkanzeln, die etwas ein wenig anders sehen oder lösen wollen. Wir müssten uns zusammenschließen, statt uns im Besserwissen zu überbieten.

Im Detail können wir oft gar nicht sagen, welches Produkt wirklich umweltfreundlich ist. Im Detail ist das oft viel zu aufwändig. Im Detail sind wir damit überfordert. Wir haben bisher oft nur grobe Leitlinien und Empfehlungen, an die wir uns halten können, so oft es uns gelingt.
Aber ich kann auch nicht die Ausrede gelten lassen, ich schaffe es eh nicht, dann bemühe ich mich auch gar nicht, da unser Lebensstil die Welt ruiniert.

Ich kenne viele, die verzagt aufgeben, immer müde und immer schwach sind, die frustriert sind und denken: das hat doch alles keinen Sinn, das nützt doch nichts, das ist doch jetzt alles gar nicht wichtig, wo wir doch viel gefährlicheren Dingen ausgesetzt sind, als dem Klimawandel, wo uns doch der Terror droht. Denen möchte ich gerne antworten. Schaut doch genau hin! Seht ihr denn nicht die Zusammenhänge!?

Unser Lebensstil ist zu Recht in Kritik geraten ist, wird zu Recht von anderen angegriffen. Und „angegriffen“ hat in diesen Tagen eine traurige Doppelbedeutung erlangt. Denn wir machen uns mit unserem Lebensstil auch abhängig von anderen, wir verlieren unsere Freiheit und Selbstbestimmung, weil wir uns ihnen ausliefern, allein durch unseren immensen Energiebedarf.

Wenn wir uns die Mühe machen, genau hinzusehen, dann erkennen wir, dass unser Lebensstil den Terror finanziert. Das Geld mit dem wir unser Öl bezahlen, wird von den Saudis dazu verwendet – das ist kein Geheimnis – den Terror zu finanzieren. Die Medien haben davon berichtet.

Wenn wir uns die Mühe machen, genau hinzusehen, dann sehen wir Reiche, die immer reicher werden und Arme, die chancenlos bleiben. Gerade die Länder Afrikas und des Nahen Ostens wurden von uns Anfang des vorigen Jahrhunderts dazu ausersehen, uns als Rohstoffquellen und Kolonien zu dienen. Das hat unser Verhältnis zu ihnen geprägt. Wir haben ihre Kultur nie wirklich verstanden. Wir haben in unserem Eingreifen in diesen Ländern versagt, weil wir ihnen unsere Werte aufgezwungen haben, nicht zuletzt wegen unserer eigenen Interessen. Peter Scholl-Latour nennt dies den „Fluch der bösen Tat“. Er hat schon vor langer Zeit vor einer Entwicklung wie dieser gewarnt.

Wenn wir uns die Mühe machen, genau hinzusehen, dann sehen wir, dass die jungen Mitläufer des Terrors ja aus unserem Europa kommen, junge Leute, die offenbar durch die Maschen der Gesellschaft gefallen sind, die keine Perspektiven für ihr Leben sehen und in ihrer Selbsttötung ein erstaunliches einmaliges Sinnerlebnis sehen. Vielleicht auch die Erlösung aus einer unhaltbaren Leere, einer für sie unerträglichen Situation.

Es ist überhaupt ein Phänomen im Umweltschutz, dass fast alles, was wir wissen, schon seit Mitte des vorigen Jahrhunderts bekannt ist und vorhergesagt wurde. Doch wir haben es bisher meisterlich ignoriert. Vermeintliche Lösungen wie die Atomkraft haben sich als Irrwege erwiesen. Da bleibt mir nur der Versuch, meine Bedürfnisse zurückzunehmen, bis wirkliche Lösungen gefunden sind.

Wenn ich unsere Freiheit und unsere Werte erhalten will, dann muss ich mit meinem Lebensstil dafür sorgen, dass wir sie nicht verlieren. Zumindest immer wieder kann ich versuchen, meine Abhängigkeiten aufzubrechen und meine Freiheit erhalten, über mein Tun verantwortungsvoll zu entscheiden.

Drum bin ich für die Umwelt immerhin als Teilzeitheldin unterwegs.

Literatur:
Abdalrachman Munif, Salzstädte.
Peter Scholl-Latour, Der Fluch der bösen Tat.
Jenny Erpenbeck, Gehen, ging, gegangen.

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