Wohlstand ohne Wachstum

Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt.

Wohlstand ohne WachstumTim Jackson
oekom Verlag 2011
München. 231 Seiten.

Wachstum ist nicht alles, aber ohne Wachstum ist alles nichts – ist dieses Ökonomen-Mantra noch zukunftsfähig? Und wenn ja, ist es dann auch vertretbar angesichts weltweiter ökologischer Schäden und wohlfahrtsgefährdender ökonomischer Krisen? Nein, meint der britische Ökonom Tim Jackson, aber er predigt deshalb nicht die ökonomische Abstinenz oder die Rückkehr zum Jagen und Sammeln. Sein Ansatz geht über strukturelle Korrekturen der ökonomischen Systeme und ökologische Schönheitsreparaturen hinaus und zielt letztlich auf eine veränderte Definition von Lebenszufriedenheit und Wohlstand. Jackson regt mehr Investitionen in öffentliche Güter und die stärkere Betonung sozialer und ökologischer Verantwortung in den Unternehmensstrukturen an. Rechte und Pflichten der ökonomisch Handelnden sollen enger verschränkt werden. Das Buch macht deutlich, dass dem Wohlstand ohne Wachstum hohe Hürden gegenüberstehen. Es gehe aber, so Jackson, darum, an den Wandel zu glauben und sich für ihn einzusetzen.

Einige Positionen in diesem Buch:

Gewinnstreben und Verbrauchernachfrage treiben das Wachstum an.

Effizienzsteigerungen reichen nicht aus, den Ressourcenverbrauch durch Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum zu kompensieren. Für eine absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch, also die Abnahme des Ressourcenverbrauchs bei steigendem Wachstum, wäre jedoch ein Überkompensation notwendig.

Zunehmende Arbeitsproduktivität führt zu mehr Wachstum und Ressourcenverbrauch. Bei gleichbleibendem oder geringeren Verbrauch führt sie zu Arbeitslosigkeit.

Ein Weg zu einer ökologischen Makroökonomie besteht darin, den Konsum zugunsten „grüner“ Investitionen zurückzuführen. Das Bedürfnis in der Rezession zu sparen wird damit befriedigt und gleichzeitig Kapital für Investitionen bereitgestellt und der Konsum reduziert.

Grüne Investitionen wären Investitionen in Ressourcenproduktivität, erneuerbare Energien, saubere Technologien, Klimaanpassung und Stärkung der Ökosysteme.

Wohlstand ist nicht mit Einkommen gleichzusetzen. Höhere Einkommen und Ungleichheit der Einkommen schadet dem Wohlstand, weil es Scham und Konsumismus fördert, denn wir definieren uns über unseren Konsum.

Trotz vieler Gegeninitiativen ist es schwierig, den herrschenden Konsummustern zu entkommen, da gesellschaftlich falsche Anreize gesetzt werden. Staatliche Förderung des Individualverkehrs, niedrige Gehälter für soziale Berufe, fehlende Förderung von Sparanstrengungen, oft schwieriges Recycling oder fehlende CO2-Abgabe gehören dazu. Von staatlicher Seite braucht es den Abbau falscher Anreize für nichtnachhaltigen Wettbewerb um Status, und den Aufbau neuer Strukturen, die Menschen befähigen, zu gedeihen und auf weniger materialistischer Art am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Ein Element dieser Strategie ist der Abbau sozialer Ungleichheit.

Das Streben nach materiellem Wohlstand untergräbt die Grundlagen dafür, Wohlstand für alle zu schaffen.

Dauerhafter Wohlstand ist nur zu erreichen, wenn Menschen die Fähigkeit haben, innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten zu leben.

Erreicht wird das durch:

  • Ökologisch bewusste Makroökonomie, um die strukturelle Abhängigkeit vom Konsumismus zu reduzieren.
  • Die Logik des Konsumismus verändern. Da die Umgestaltung der Grundversorgungssysteme (Ernährung, Wohnen, Mobilität) auf Nachhaltigkeit nicht ausreicht, müssen Alternativen gefunden werden, wie alle Menschen die Chance auf vollwertige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben haben.

Die Rolle der Regierung

Es ist Aufgabe der Regierung, wirtschaftliche Stabilität zu sichern (→ Hermann). Daher wurde das Eingreifen des Staates in der Finanzkrise akzeptiert. Gesellschaftliche Normen werden durch den Staat gesetzt. Es entscheidet über Bildungs- und Beschäftigungspolitik, durch Produktnormen, Steuern und Abgaben, Regulierung und Unterstützung von Medien und Initiativen.

Aufgabe des Staates ist es, individuelle Freiheiten gegen das Allgemeinwohl abzuwägen. Um langfristiges Wohlergehen gegenüber kurzfristige Annehmlichkeiten zu sichern gibt (gab) es „Instrumente der Selbstverpflichtung“, wie Sparkonten, die Institution Ehe, Normen für soziales Verhalten und den Staat.

Eigennutz, die schwindende Bereitschaft, bindende Verpflichtungen einzugehen, ist strukturelle Folge des Reichtums und strukturelle Voraussetzung für Wachstum. Gleichzeitig höhlt Wachstum die Instrumente zur Selbstverpflichtung aus.

Individuelles Streben nach Neuem ist Voraussetzung für Konsumwachstum, von dem die ökonomische Stabilität abhängt. Da die Regierung für die Stabilität der Volkswirtschaft verantwortlich ist, wird dieses Streben gefördert.

Der Staat steht vor dem Dilemma, das Allgemeinwohl vor Übergriffen des Marktes zu schützen, als auch für die Stabilität der Wirtschaft zu sorgen. Daher kann er unter den herrschenden Bedingungen nicht anders, als dem Wirtschaftswachstum den Vorrang zu geben. Eine Änderung zu mehr Nachhaltigkeit ist nur mit dem Staat zu erreichen, der ein demokratisches Mandat voraussetzt.

„Ein Regierungsmodell, das den Wohlstand im Auge hat, verfolgt die gleichen Ziele, die auch für ein nachhaltiges Wirtschaftssystem wichtig sind. Das Wachstum hat den Staat in eine Zwickmühle gebracht. Errettet man die Wirtschaft aus diesem Dilemma, hat auch der Staat die Chance, zumindest sich selbst zu retten.“

Empfehlungen für den Weg in ein nachhaltiges Wirtschaftssystem

Die Grenzen festsetzen

  • Obergrenze für Ressourcen und Emissionen sowie Reduktionsziele. Gleichheit und ökologische Grenzen verknüpfen durch das Modell „Kontraktion und Konversion“, d.h. die Pro-Kopf-Zuteilung innerhalb der ökologischen Grenzen, wobei die Obergrenze auf ein nachhaltiges Niveau abgesenkt wird.
  • Steuerreform für Nachhaltigkeit. Ökologisch schädliche Aktivitäten (Umweltbelastung) werden besteuert, wirtschaftlich Erwünschtes (Einkommen) entlastet.
  • Ökologischen Wandel in Entwicklungsländern unterstützen. Raum für dringend nötiges Wachstum in ärmeren Ländern schaffen und auf Nachhaltigkeit anlegen. Diese Wachstum wird durch Binnenkonsum und Handel zwischen den sich entwickelnden Ländern gestützt.

Das Wirtschaftsmodell reparieren

  • Eine ökologische Makroökonomie entwickeln. Statt in Produktionswachstum in den strukturellen Übergang auf kohlenstoffarme, arbeitsintensive Aktivitäten investieren.
  • In Arbeitsplätze, Vermögenswerte und Infrastruktur investieren.
    – Gebäude sanieren, energie sparen, CO2-arm werden
    – Erneuerbare Energien förden
    – Versorgungsnetze umgestalten
    – Öffentliche Transportmittel ausbauen
    – Öffentliche Räume schaffen
    – Ökosysteme erhalten und schützen
  • Mehr finanzielle und steuerpolitische Umsicht. Finanzmärkte reglementieren, destabilisierende Finanzpraktiken verbieten, exzessive Vergütungen beschneiden, mehr Anreize für das Sparen in Inland schaffen.
  • Steuern auf internationale Devisentranfers (Tobin-Steuer)
  • Öffentliche Kontrolle der Geldmenge, d.h. Kredite müssen voll durch Reserven der Bank abgesichert sein.
  • Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung revidieren. Statt des BIP sind aussagekräftigere Indikatoren nötig, bspw. Verteilung von Einkommen, Entwicklung des Naturkapital, Umweltverschmutzung, soziale Kosten, Dienstleistungen außerhalb des Marktes (Hausarbeit, Ehrenamt) einbeziehen. Die Gesamtrechnung ist von „defensiven“ Ausgaben und Statuskonsum zu bereinigen.

Die gesellschaftlich Logik ändern

  • Regulierung der Arbeitszeit. Wenn die Produktion gedeckelt wird, muss die Arbeit geteilt werden, um den Lebensstandard zu sichern. Vorteile wären höhere Flexibilität bei den Arbeitszeiten, keine Benachteiligung von Teilzeitarbeit.
  • Die systembedingte Ungleichheit bekämpfen. Dadurch sinken soziale Kosten, erhöht sich die Lebensqualität, und die Dynamik des Statuskonsums ändert sich. Dazu gehören neue Strukturen bei der Bemessung der Einkommenssteuer. Unter- und Obergrenze bei Einkommen, verbesserter Zugang zu Bildung, Gesetze gegen Diskriminierung und die Verbesserung des örtlichen Umfelds in benachteiligten Gegenden.
  • Gedeihen und Fähigkeiten messen. Als Maß für Wohlstand könnte Lebenserwartung, Bildungsteilhabe, Vertrauen, Belastbarkeit von Gemeinschaften und Teilhabe am öffentlichen Leben dienen.
  • Das Sozialkapital stärken. Öffentliche Räume schaffen und schützen, lokale Initiativen für Nachhaltigkeit fördern, Arbeiten und Wohnen zusammenführen, Fortbildung für „grüne“ Berufe, bessere Zugänge zu lebenslangem Lernen schaffen, größere Planungshoheit für örtliche Verwaltungen, öffentlichen Rundfunk, Museen, Bibliotheken, Parks und Grünflächen sichern.
  • Die Kultur des Konsumismus abbauen.
    – Verbot der kommerziellen Werbung, die an Kinder gerichtet ist
    – Schaffung werbefreier Zonen
    – Staatliche Förderung öffentlicher Medien
    – Richtlinien für den Handel (Fairness, Obsoleszenz)
    – Alternativen zum Lebensstil als Konsument schaffen

„Die Finanzkrise von 2008 hat eines ganz klar gezeigt: Unser derzeitiges Modell für wirtschaftlichen Erfolg ist von Grund auf falsch. Für die hoch entwickelten Volkswirtschaften der westlichen Welt ist Wohlstand ohne Wachstum kein utopischer Traum mehr, er ist eine finanzpolitische und ökologische Notwendigkeit.“

Hierzu auch der Gastbeitrag von Tim Jackson in der ZEIT 44/2011