Angst

von Petra Stechele

Auf Angst vor einer komplexen Wirklichkeit gibt es verschiedene Reaktionen. Eine besteht darin, sie zu verdrängen und weiter so zu tun, als wäre alles in Ordnung, meist gepaart mit der Flucht in eine fiktive Scheinrealität. Das ist es, was uns auch gerade in Form des sich verbreitenden Populismus begegnet, der sich in eine vermeintliche Rückkehr in die Nationalstaatlichkeit flüchtet und meint, damit wären schon alle Probleme der Zukunft gelöst und unser Wohlstand für immer gesichert. Die andere besteht in einem beherzten Blick auf die Welt, um sich ihr zu stellen, die eigenen Trägheit zu überwinden und zu handeln.

Trägheit verträgt sich nicht mit dem Schutz unserer Lebenswelt – nein, überhaupt nicht mit dem Leben. Wir überwinden sie aber nur, wenn die Angst so groß wird, dass sie uns dazu treibt.

Der Philosoph Wilhelm Schmid sagte in einem Artikel über German Angst, dass Angst auch ihre positiven Seiten habe, weil wir sonst nicht handeln würden, nichts uns zur Überwindung von Trägheit ansporne. Dabei erwähnte er, dass ihm die Angst vor der ökologischen Katastrophe noch zu gering sei. Denn die sei seiner Ansicht nach ein wirklich reales Gefahrenpotential, das Handlung erfordern würde und genau hier würde sie in fataler Weise unterbleiben.

Statt des sehr realen Abenteuers, der Gestaltung unserer Zukunft und Abwehr der Gefahren für die Umwelt, flüchten wir uns in für uns gefahrlose virtuelle Spiele und Scheinwelten, die uns selbst nur sehr bedingt fordern und fördern. Und womöglich übersehen wir darin die Gefahren, die uns wirklich drohen. „Brot und Spiele“, das war schon im historischen Rom ein beliebtes Mittel, das Volk abzulenken und zufrieden zu halten. Auch heute haben unsere Regierungen nichts dagegen, wenn wir uns mit Vergnügungen zudröhnen, die uns nicht voranbringen. Nicht ohne Grund wurde im Jahr 1984 unter Bundeskanzler Helmut Kohl, dem Verfechter der „geistig-moralischen Wende“, der Rundfunk privatisiert.

Leider ist Trägheit ein Hauptfaktor kultureller Dekadenz. Ein Faktor, der eines Tages unseren Untergang besiegeln könnte.

Warum?

Wir vermeiden aktives körperliches Tun. Alle Arbeiten, die anstrengen, lassen wir von Maschinen erledigen. Manchmal ist das verständlich, denn viele Arbeiten sind ja auch auf Dauer gesundheitsschädlich. Aber dass wir am Ende immer bequemer werden und NICHTS mehr selbst tun wollen, führt zu körperlichen Schäden und Herz-Kreislauferkrankungen. Wir sitzen zu viel. Das müssen wir wiederum durch Sport ausgleichen. Weil das vielfach sehr unbequem ist, brauchen wir auch dazu wieder Maschinen. Die finden wir im Fitnesscenter. Sie ersetzen uns die Bewegung in Welt und Natur. – Ja, wir werden dadurch ein wenig unabhängiger von unserem beschädigten Klima. Was stört uns heiß oder kalt, nass oder trocken?

Wir merken dabei nicht einmal mehr, dass wir zunehmend unser Leben auf diese Weise ersetzen.

Wodurch?

Man könnte sich beinahe fragen, ob wir nicht sogar mit dem Fernseher so etwas wie einen Lebensautomaten erfunden haben. In vielfacher Hinsicht ersetzt er uns ein eigenes Leben. Findet es nicht statt, schauen wir eben fremdem Leben zu. Und je virtueller unsere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung werden, umso weniger sind wir noch wirklich an unserem Leben beteiligt, noch wirklich aktiv darin. Eine Bekannte erzählte mir kürzlich von einem virtuellen Erlebnis mit neuen Medien, einer Brille, die eine andere Realität vorspiegelt und wie beeindruckend real und zugleich verwirrend das war. Sie konnte durch eine völlig andere Wirklichkeit gehen, hatte aber brutale Kopfschmerzen danach.

Ja, so können wir auch Abenteuerautomaten erfinden und darin Dinge erleben, die wir gar nicht mehr wirklich erleben. Wir ersetzen alles, sogar die Welt durch Automaten.

Aber was ist die Folge? Was tun wir dann eigentlich noch selbst? Wer sind wir dann noch? Wer können wir noch sein? Wie können wir uns entwickeln?

Wir verlernen Fähigkeiten, die wir einmal real beherrschten. Unser Leben wird reduziert auf Künstliches, Nicht-Reales. Schon im Fitnesscenter laufen wir, aber nicht mehr über Boden, sondern ebenen Gummi. Wie viele Fähigkeiten der Balance, des Ausgleichs von Bodenunebenheiten, wie viele Tempokorrekturen, wie viele unterschiedliche sinnliche und Muskelaktivitäten werden dabei nicht mehr gebraucht? Stattdessen arbeiten wir daran, dass Roboter lernen Bälle zu fangen. Unseren eigenen Kindern bringen wir es nicht mehr bei.

Wir können nichts mehr mit unseren Händen herstellen und es gibt auch kaum noch jemand, der es könnte. Wir kaufen ein neues Teil, das von einem Automaten gemacht wurde, das billig ist, nichts wert, oft nicht einmal schön und schnell wieder weggeworfen wird, weil es nicht zu reparieren ist.

Wir kochen nicht mehr selbst. Wir wissen oft gar nicht mehr, wie das Rohprodukt aussah, das wir essen, wie es riecht, schmeckt aussieht, wie es sich entwickelt und verändert, wenn es wächst, reift, wenn es bearbeitet wird, welche Vielfalt dabei möglich ist, welcher Reichtum der Variationen an Aussehen, Duft und Geschmack. Wie viele Arten verschwinden, weil wir uns nicht für sie interessieren und wie sehr verarmt dabei unsere Welt, wie sehr unsere Fähigkeiten und sinnlichen Erfahrungen. Tierarten, die wir nicht mehr kennen oder nie kannten, Pflanzen und Früchte, deren Farben und Formen wir nicht mehr wahrnehmen.

Ich habe Kinder erlebt, die Angst hatten, eine Wiese zu betreten, weil es darin Insekten gibt. Natürlich ist das Leben ein Risiko, ist es immer gewesen. Aber es verschiebt sich die realistische Einschätzung der Gefahren.

Was ist der Ersatz dafür? Das Scheppern in einem Kopfhörer, das Flackern in einer Computerbrille? Isolierte Wahrnehmungen mit dem Gestank nach angeschmortem Kabel, Kunststoff und Metall, bestenfalls noch irgendwo ein bisschen angekokelt oder fettgeschmiert.

Unsere Regierung schlug vor, dass wir doch ständig Katastrophenvorräte für zehn Tage vorhalten sollen und natürlich immer wieder erneuern und die alten entsorgen. Ein gutes Wachstumsmodell, wie der Rauchmelder, der ständig neue Batterien braucht, damit er einen in Ruhe schlafen lässt. Wie viele Hunderttausende von Leben wird er schon gerettet haben, seit er eingeführt wurde? Ein bisschen Gespür für Realität, ein bisschen Verstand, das scheint uns langsam verloren zu gehen.

Giovanni di Lorenzo schreibt in der ZEIT: „Populismus ist vor allem ein Derivat der Angst, die eine ständige Begleiterin großer gesellschaftlicher und politischer Umbrüche ist. Heute hat sie ihren Ursprung vor allem in einer Globalisierung, die weit mehr ist als der freie Austausch von Waren. […] Die Globalisierung hat die soziale Lage in der Welt verbessert, sie hat Länder zusammenrücken und ein Gefühl der Gesamtverantwortung für Leid und Unrecht auf allen Kontinenten entstehen lassen.

Jetzt kommt es darauf an, ob die Politik Pläne hat, wie mit den erheblichen Kollateralschäden zu verfahren ist. Denn das Gefälle zwischen Arm und Reich innerhalb der einzelnen Gesellschaften hat zugenommen, Einwanderung und Flüchtlingswellen haben das soziale und kulturelle Gefüge vieler Länder verändert. [Anm. d. Verf.: Ich würde Flüchtlingswellen durch Flucht ersetzen, weil mit Ausdrücken wie Flüchtlingswelle oder Flüchtlingsströme der Eindruck entsteht, wir würden von den Flüchtenden überrollt, was ja schon rein zahlenmäßig ein unrealistisches Bild ist.] Die digitale Revolution bedroht Millionen Arbeitsplätze (bevor sie vielleicht neue schafft). Darauf reagieren Populisten mit dem Heilsversprechen neuer nationaler Grenzen […] Wer dagegen erfolgreich angehen möchte, muss beweisen, dass Regierungen auch in der Diversität Ordnung schaffen können und sehr wohl noch in der Lage sind, Macht auszuüben, zum Beispiel gegenüber Banken und entfesselten Großkonzernen – insbesondere den digitalen.“

Hier trifft er das Problem sehr genau und zitiert abschließend Winfried Kretschmann:“ Anstatt Vorgaben für das gute Leben und die individuelle Lebensgestaltung zu machen, sollten wir uns auf den Kampf für eine gute Ordnung der Dinge konzentrieren.“

Das Leben lebt von der Vielfalt. Auch von der Vielfalt im Miteinanderleben unterschiedlicher Menschen. Denn der Kampf um die Lebensgrundlagen auf dieser Welt vereint uns letztlich alle und nur so können wir auch die Fluchtursachen zu verhindern helfen. Denn wir müssen erkennen, wie sehr das eine mit dem anderen zusammenhängt. Leider geschieht das bisher nicht, ganz im Gegenteil, der Schutz der Lebensgrundlagen unserer Umwelt wird seit der Flüchtlingskrise eher verdrängt und weniger ernst genommen.




Krisen

von Petra Stechele

Das Wort ist aus unseren Medien inzwischen nicht mehr wegzudenken. Doch gerade das sollte zu denken geben. Denn eine Krise bezeichnet eine Ausnahmesituation, genauer: Eine Entscheidungssituation, einen Höhe- bzw. Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung (Duden).

ÖLKRISE FINANZKRISE WIRTSCHAFTSKRISE GRIECHENLANDKRISE BANKENKRISE FLÜCHTLINGSKRISE …

Doch wie bereits Horst Köhler in seinem ZEIT-Artikel ausgeführt hat (siehe Brief an die Kanzlerin), sind dies keine wirklichen Krisen, sondern Symptome. Symptome dafür, dass unser Wirtschaftssystem überholt ist und sich nicht an die veränderten Gegebenheiten der Welt angepasst hat. Es funktioniert so nicht mehr. Es lässt zu große Ungerechtigkeit entstehen. Es schließt zu viele Gesellschaften vom Wohlstand aus und ist längst zu einer Herrschaft des weltweiten Großkapitals geworden, das den Regierenden die Macht aus der Hand genommen hat. Zuallererst, weil Regierungen nichts mehr fürchten als Stagnation. Wirtschaftliches Wachstum gilt in diesen Kreisen nach wie vor als Garant für Wohlstand. Und die WählerInnen fürchten um ihre Arbeitsplätze und ihre Fähigkeit zum Dauerkonsum.

Wie bei körperlichen Erkrankungen ziehen wir meist vor, ein Medikament zu suchen, das schnell die Symptome zum Verschwinden bringt, ohne die wirkliche Krankheit zu heilen. Wir nehmen ein Schmerzmittel, achten nicht auf Risiken und Nebenwirkungen, wollen unser Verhalten nicht ändern, das zu der Krankheit geführt hat. Deshalb geschieht, was geschehen muss. Die Symptome kehren zurück, meist noch viel schlimmer als zuvor oder sie verlagern sich nur an eine andere Stelle auf ein anderes Organ und schwächen uns immer mehr.

So ist es auch mit der Welt. Die Regierenden sind erstaunlicherweise blind für das, was bereits seit vielen Jahrzehnten kein Geheimnis ist. Mit den immer gleichen Rezepten sollen die Krisen gelöst werden. Der Klimawandel, der durch technischen Fortschritt verursacht wurde, soll durch mehr technischen Fortschritt bekämpft werden. Die Ungleichheit in der Welt, die durch unser ungerechtes Wirtschaftssystem verursacht wurde, soll durch noch mehr Wirtschaftswachstum beseitigt werden. Das Bild von der steigenden Flut, die auch die Schwachen nach oben tragen soll, sitzt fest in den Köpfen. Dabei hat die Realität dieses Bild längst Lügen gestraft. Nein, sie stellen sich blind, weil sie, wie auch die Wirtschaftsmächtigen wissen, dass die Krankheit nur heilbar wäre, wenn wir unser Verhalten unser Wirtschaften ganz grundlegend verändern würden. Wenn wir uns ein „gesundes“, ein „verträgliches“ Verhalten angewöhnen würden. Das würde für manche darin bestehen, dass sie bestimmte Dinge nicht mehr wie gewohnt tun können, wie das auch bei Krankheiten der Fall ist. Es würde auch darin bestehen, dass man manche andere Dinge tun müsste, die bisher nicht nötig waren. Es würde auch bedeuten, dass man manchmal unsicher ist und erst ausprobieren muss, was denn nun das Richtige, das „weltgesunde“ Verhalten eigentlich ist, vorsichtig, nachdenklich, kritisch sein, hinterfragen und Fehler korrigieren.

Aber was „das Heilmittel“ denn sein könnte, das haben viele schon seit langer Zeit beschrieben. Es würde auf jeden Fall darin bestehen, dass wir versuchen müssten, nicht stets noch mehr Ressourcen zu verbrauchen, als uns im Verhältnis zu anderen Völkern dieser Erde zustehen.

Kürzlich war ich bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Terrorismus. Der Nahostkorrespondent, Jörg Armbruster, hat über die Entstehung des Terrorismus referiert und seine Beobachtungen geschildert. Miguel Berger vom Auswärtigen Amt sprach darüber, dass man mit Terroristen nicht verhandeln könne und deshalb militärische Lösungen die politischen ergänzen müssten. Vom Publikum wurde wiederholt auf die Punkte Perspektivlosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit und Chancenlosigkeit in diesen Ländern hingewiesen. Auch darauf, dass bereits durch westliches Eingreifen zahlreiche Staaten zerschlagen worden sind, in denen nun Terroristen und Terrorregime das Vakuum füllen. Waffenlieferungen wurden erwähnt, unsere Abhängigkeit vom Öl Saudi Arabiens, das wiederum zur Finanzierung und Unterstützung des Terrors dient. Aber der Diplomat ließ sich durch nichts von seiner Medizin, der Bombe, abbringen, also die Symptome zu kurieren. Am Ende sprach die Moderatorin von einem „antiwestlichen Narrativ“ (=Erzählung) zu dem ein „Gegennarrativ“ (=Gegenerzählung) gefunden werden müsste und fasste so die Meinung des Publikums mit auf. Aber dieser Punkt, der als einziger an die Ursachen des Problems ging, wurde nicht weiter angesprochen. Denn damit war die Veranstaltung zu Ende. Was bleibt, sind die Bomben auf Syrien, sind die Soldaten, die wir entsenden, die Flugzeuge, ein Kriegsschiff, um die Franzosen zu unterstützen bei einer Mission die völkerrechtlich noch gar kein Mandat hat.

Wenn man in die Bücher schaut, dann kann man bei A. Munif, Salzstädte oder Orhan Pamuk, Istanbul nachlesen, wie solche antiwestlichen Narrative entstanden sind. Ich erwähnte andernorts, wie einst freie Beduinen zu Untertanen von Emiren wurden, weil diese plötzlich durch die Ölquellen, die von den USA erschlossen wurden, zu Herrschaftsmacht kamen und damit eine Polarisierung der arabischen Bevölkerung entstand. Nach dem ersten Weltkrieg hat der Westen dort künstliche Staatengebilde errichtet,  wie Syrien und den Irak, die als Nachfolger ehemaliger Kolonien, Völker zusammenzwangen, die gar nicht zusammenpassten. In der Folge wurden die Sunniten von den Schiiten (zwei unterschiedliche islamische Glaubensrichtungen) unterdrückt. Jetzt bilden die Sunniten in ihrem Hass auf die Unterdrücker den Kern des IS. Orhan Pamuk beschreibt, wie er den Niedergang des Osmanischen Reiches erlebte, das einen Großraum des Mittelmeergebietes und der heutigen Krisenregionen einnahm. Er erkannte, „…dass wir unser „Herrendasein“ nicht in erster Linie unserem Besitztum zu verdanken hatten, sondern der Tatsache, dass wir modern und europäisch waren“, „verwestlicht“ wie „französische Bourgeois“. Er beschreibt den „mit Neid und Schuldgefühlen vermischten Wunsch nämlich, die letzten Spuren einer großen Kultur getilgt zu sehen, an deren Stelle wir unwürdigerweise ein billiges Abziehbild westlicher Zivilisation setzten.“ Der Franzose André Gide schrieb, „dass er die Türken verabscheue und spricht von der Überlegenheit der westlichen und insbesondere der französischen Zivilisation.“ Pamuk sagt dazu, „dass die Intellektuellen [Türken, Anm. d. Verf.] Gide insgeheim Recht gaben.“ Er fährt fort, „dass die militärischen und wirtschaftlichen Triumphe der westlichen Zivilisation, selbst eher kritisch veranlagte westliche Intellektuelle mit kaum verhohlenem Stolz erfüllen und dass auch sie davon überzeugt sind, der Westen sei das Maß aller Dinge.“„Ich bin genauso wie die Stadt ein lebender Toter, ein atmender Leichnam, ein armer Hund, der – wie Straßen und Gehsteige mich wissen lassen – zu Niederlage und Schmutz verurteilt ist.“ So beschreibt er seine Entfremdung, obwohl – oder weil er an einer amerikanischen Schule erzogen wurde. Wen wundert wenn andere lebende Tote zu Selbstmordattentätern werden?

Pamuk erzählt hier von der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Man sieht an diesem Beispiel, wie dieses Denken weiterging. Sieht den Abstieg der Länder, die eben nicht dem „Maß aller Dinge“ entsprechen konnten und wie dieses Empfinden sich ausbreitete und seine explosive Gewalt entfalten konnte, weil wir nichts unternommen haben, diese “antiwestliche Erzählung“ rechtzeitig zu erkennen, die hier entstand und ihr einen anderen Inhalt zu geben. Und auch jetzt sind wir dabei, wieder einmal die Geschichte nicht zu unseren Gunsten umzuschreiben.

Denn wenn wir das tun wollten, müssten wir erkennen, dass wir durch unseren verschwenderischen Lebensstil eine massive Ungleichheit in der Welt verursacht haben und unsere Güter häufig durch die Ausbeutung anderer produziert werden. Wir müssen erkennen, das Wohlstand nicht auf Kosten anderer entstehen kann. Und dass Wohlstand nicht bedeutet, ein zweites oder drittes Auto zu kaufen, jeden Tag Fleisch zu essen oder in Urlaub zu fliegen. Das sind nur die verzweifelte Versuche, uns von der Krankheit abzulenken. Wenn wir auf die Krisen, den Wendepunkten, nicht mit der Reduzierung unserer Ansprüche reagieren, entwickeln sie sich zu Katastrophen. Denn auch China und Indien wollen sich ihren Anteil holen und verschlimmern damit die Lage all der Völker, die über diese Möglichkeiten nicht verfügen. All diese Entwicklungen und Spannungen müssen sich in Verzweiflungstaten derer entladen, die sich jeder Chancen beraubt sehen und sich deshalb gegen unsere Kultur bewaffnet haben, oder gegen jene, die in ihren Ländern mit uns zusammenarbeiten wollen und die sich nun gezwungen sehen, ihre Länder fluchtartig zu verlassen.

Wir sollten also jetzt bedenken, wie unsere Geschichte einmal erzählt werden wird. Wir sollten uns nach Harald Welzer die Frage stellen: „Wie wollen wir einmal gelebt haben?“




Verzichten wir doch mal auf Trägheit

von Petra Stechele

„Wer in den Zoo geht und ein Krokodil betrachtet, betrachtet Mitteleuropa. Wohlgenährt, träge und bewegungslos liegt es da. Schon erledigt vom pausenlos guten Leben, ist ihm der Hunger nach Aufregungen schon vergangen. Deshalb stehen in vielen Städten Türme herum, von denen die Ruhelosesten in die Tiefe springen. Kein Reiseversicherungspaket begleitet sie nach unten, um heil davonzukommen. Nein, nur ein Bungee-Gummiband verspricht letzte Rettung. Unglaublich, welche Kraftakte man auf diesem Erdteil unternehmen muss, um sein Herz noch schlagen zu hören.“ (Andreas Altmann. 34 Tage, 33 Nächte)

Neuerdings gibt es andere Aufregungen, andere Ängste, die uns klar machen, dass etwas in eine Richtung läuft, die uns nicht gefallen kann. Ein anderes Unten, eine andere Tiefe, in deren Bodenlosigkeit wir nicht fallen wollen. Wir beginnen die Folgen unseres Tuns zu spüren, wenn wir die Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten sehen. Peter Scholl-Latour hat sein Buch über die Entwicklungen in diesem Raum „Der Fluch der bösen Tat“ tituliert. Wir sollten zu vermeiden suchen, noch mehr Flüche „böser“ Taten erleben zu müssen. Wir zerstören Lebensräume anderer Menschen durch unseren Lebensstil.

Und es gibt meines Erachtens noch eine andere Form des Verzichts, als den auf Dinge, auf die man einen Anspruch hat, nämlich den auf Dinge, auf die man jahrelang glaubte, einen Anspruch zu haben, weswegen sich dann eine Gewohnheit bildete.

„Es ist einfacher ein guter Mensch zu sein, wenn man dabei nichts zu verlieren hat,“ sagte Harald Martenstein einmal in seiner Kolumne im ZEITmagazin. Ähnlich ist es auch mit dem Verzicht. Ich kann gut auf beheizte Fußballstadien und Rasenheizung verzichten, weil mich dieser Sport nicht interessiert. Meinetwegen muss man nirgendwo in Wüsten oder unterentwickelten Ländern teure Olympiastadien bauen. Den Sportfan wird das dagegen hart treffen.

In seiner negativ besetzten Ausprägung bedeutet der Verzicht eine Einbuße an Lebensfreude, nämlich genau dann, wenn ich auf all jene Dinge verzichte, die mir Freude bereiten. Aber muss das unbedingt so sein? Durch ein bisschen Nachdenken kann man in einfacher Weise neue Gewohnheiten und neue Freuden entwickeln, Neues ausprobieren. Auch alles, was nicht dauernd oder wiederholt im Übermaß betrieben wird, entlastet die Umwelt und kann den eigenen Horizont erweitern, mir neue Erfahrungen bringen. Um beim Beispiel zu bleiben: Niemand muss auf Fußball verzichten, aber muss er bei Eis und Schnee stattfinden, muss Olympia in der Wüste abgehalten werden? Viele dieser Dinge kann ich nicht direkt verhindern, aber durch mein Interesse treibe ich sie indirekt voran, durch mein Verhalten entscheide ich mit. Ich muss nicht alles mitmachen, ich kann stattdessen etwas anderes tun, anderes auswählen – vielleicht bereichert es sogar mein Leben, wenn ich mir ab und an ein anderes Vergnügen wähle.

Manchmal kann ich supergut auf ein Flugzeug verzichten, weil ich Bahnreisen schöner und erlebnisreicher finde, auch wenn sie länger dauern. Sogar dann, wenn mal ein Anschluss nicht klappt. Im überfüllten Zug beim Bahnstreik sind mir, eingepfercht auf einem engen Gang, die interessantesten Menschen begegnet – und auf so engem Raum kamen wir uns auch menschlich näher und haben mehr miteinander geredet, als wenn jeder auf seinem eigenen Sitz eingequetscht wäre. Als ich in einer kleinen französischen Stadt einen Anschluss verpasste, musste ich im Café auf den nächsten Zug warten. Es war herrlich. Dieser Vormittag ließ das Leben der Stadt und ihrer Menschen vor mir Revue passieren, bescherte mir interessante Lektüre, gutes Essen und Gespräche. All das wäre mir nicht begegnet, wenn ich den geplanten Zug genommen hätte.

Aber als mein Sohn im Ausland studierte, konnten wir nicht immer auf das Flugzeug verzichten, weil sonst manchmal aus Zeitmangel nicht möglich gewesen wäre, einander zu besuchen. Dazu habe ich beim Thema Reisen schon einiges gesagt. Zudem ist die Preispolitik der Bahn manchmal schwer zu verstehen und mit mehreren Personen ist es oft günstiger, Auto zu fahren, was nicht den realen Kosten entspricht.

Bleiben wir bei der Bewegung. Wie viel Geld wird in Deutschland und weltweit ausgegeben für Fitnesseinrichtungen, für Sportgeräte, Sportvereine, und schließlich für Folgeschäden von Sportverletzungen oder für die Schäden, die unsere körperliche Trägheit verursacht!? So haben wir Fernbedienungen, damit wir nicht einmal mehr die paar Bewegungen tun müssen, um das Garagentor zu öffnen und es hochzuschieben. Aufzüge, Rolltreppen, obwohl wir noch bestens auf den Beinen sind, Haushaltsgeräte, die uns jede Mühe erleichtern und eine Menge Tätigkeiten abnehmen, Elektrogeräte, die uns den Rechen im Garten ersetzen, den Rasenmäher, die Heckenschere. Ankauf, Instandhaltung und Ersatz defekter Geräte kosten uns viel Geld und Zeit. Wir müssen dafür mehr Erwerbsarbeit leisten, um das Geld zu verdienen. Wenn wir einige dieser Tätigkeiten in unser tägliches Fitnessprogramm einbauen, ersparen wir uns eine Menge Geld und sparen uns die Zeit im Fitnesscenter.

Sogenannte Eigenarbeit, Arbeit für den eigenen Zweck also, wird in unserer Gesellschaft wenig geschätzt. Sie hat einen geringen Prestigewert, weil sie mit wenig öffentlicher Beachtung oder messbaren Erfolgen einhergeht. Dennoch kann sie uns viel Freude machen, sie steigert unsere Kreativität und vermittelt den Flow. Das ist ein Begriff aus der Psychologie, für das höchst gesunde Gefühl ganz in einer erfüllenden Tätigkeit aufzugehen, an der wir Freude haben und der wir uns ganz konzentriert hingeben, statt immer der gleichen Routine und dem gleichen Trott in Schule, Job und Büro zu folgen oder uns von allen Medien gleichzeitig unterhalten zu lassen. Eigenarbeit ist in vielen Fällen umweltfreundlicher und gesünder als der Erwerb der Fertigprodukte, wie etwa das Kochen und Backen, aber auch der Anbau von Nahrungsmitteln. Denn sogar auf einem Balkon kann man schon viele Pflanzen selber ziehen.

Wenn man dann auch noch seine geistige Trägheit überwindet und ab und an darüber nachdenkt, alte Gewohnheiten durch neue zu ersetzen, wie etwa nähergelegen einzukaufen, mal dabei zu Fuß, und öfter zu gehen oder mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Verkehrsmittel, schon wieder hat man etwas für Fitness und Umwelt getan. Man kann hier durchaus manchmal auf das Auto verzichten. Kritisch muss ich allerdings einwerfen, dass man in größeren Städten nicht unbedingt leicht und gern mit Fahrrad und Anhänger mitten durch den Verkehr fahren will, weil das doch sehr unfallgefährdend sein kann und man ebenso wenig gerne seine Milch-oder Getränkemehrwegflasche weit tragen möchte. Ich sehe durchaus, dass manchmal die Infrastrukturen unserer Umweltfreundlichkeit Grenzen setzen, weil ja die vielen kleinen Läden in der direkten Nachbarschaft in den letzten Jahren verschwunden sind. Verschwunden sind sie aber, weil wir ja gerade sie nicht mehr wollten, denn wir wollten ja mit unseren fetten SUVs lieber bequem parken und das war nur in den Gewerbegebieten möglich. Dafür nahmen wir bereitwillig in Kauf, dass unsere Landschaft mit Betonbaracken und Parkplätzen zugepflastert wurde. Es ist eine selbstverschuldete Entwicklung, die wir durch unser Verhalten in Gang setzten und so auch wieder rückgängig machen können.

Müll kann man reduzieren, indem man weniger Verpackung benötigt und selber Dosen und Tüten mitnimmt, auch, indem man die Art der Verpackung wählt, also auf Plastik verzichtet. Ein bisschen Mitdenken hält den Kopf fit und reduziert Abfälle leicht um zwei Drittel. Bewusst konsumieren, das heißt für mich auch, dass ich überlege, was ich mit meinem Einkauf unterstützen will. Manchmal kann ich nur wählen, entweder Bio oder weniger Müll. Manchmal sind eben die Produkte nicht perfekt umweltfreundlich.

Ich spare Papier, aber vor allem, Drucker- und Kopierpapier, das kann ich bedenkenlos reduzieren. Ich rege in meiner Stadt den Gebrauch von Recyclingpapier an Ämtern und Schulen an, aber auch als Hygienepapier in privaten Haushalten.

An Büchern und Zeitungen spare ich nicht so gern, weil sie für mich meist, wenn auch nicht immer, Kultur und Bildung repräsentieren, geistige Auseinandersetzung mit wichtigen Themen, weil von ihnen Autoren und Journalisten leben, die sich diesen Aufgaben verschrieben haben und meist nur sehr wenig Geld dafür bekommen, nicht selten sogar noch einen Broterwerb zusätzlich ausüben müssen. Ich will sie daher unterstützen dabei, wichtige Gedanken unter die Menschen zu bringen, denn wenn sie es nicht tun würden, wäre kritische politische Meinungsbildung aber auch kulturelle Auseinandersetzung nicht möglich. Zudem kann ich anders mit einem Buch arbeiten, als mir dies am Bildschirm möglich ist. Beides hat Vorteile und ich versuche es sinnvoll abzuwägen.

Ich kann auch ganz leicht auf jene Sparte des Konsums verzichten, die sich in bunten Plastiktretern, Geschenk- und Dekoartikeln manifestiert, in billigem Plastikspielzeug für Kinder, das meist scheußlich aussieht, unästhetisch ist und auch schnell kaputt. Gerade zu den Festzeiten überschwemmen uns die Läden mit ihren meist chinesischen Billigprodukten, die danach bedenkenlos entsorgt werden.

Seit beinahe vierzig Jahren habe ich dieselben Möbel, weil ich mir einmal qualitativ gute, zeitlose Stücke gegönnt habe, die optimal in meine Räume passen und daher noch immer einwandfrei aussehen. Auf einige davon habe ich sogar länger gespart. Mit Kleidung verhält es sich ähnlich. Man muss nicht dem Trend folgen und wöchentlich nach der neuesten Mode gekleidet sein, nur weil der Laden schon wieder neue Stücke hat. Auch mit längeren Zyklen kann man attraktiv aussehen.

Überflüssiger Konsum, der sich in billigen Werbegeschenken, Pröbchen und Beigaben zu anderen Waren darstellt, muss manchmal mit etwas Mühe abgelehnt oder sogar zurückgeschickt werden, was mit etwas weniger Trägheit ganz einfach ist: zurück an den Absender drauf und rein in die Post. Das kommt in der Regel nicht wieder.

Gewünschte Veränderungen kann man mit etwas Kreativität durch Wiederverwendung und Zweckentfremdung, wenn man aus Altem Neues macht, schnell erreichen. Dann kann schon gar nicht mehr von Verzicht gesprochen werden, er ist gar nicht dazu nötig. Man erspart sich den Erwerb neuer Produkte, man produziert sie selbst durch eigene Kreativität. Zum Beispiel hatte ich Handtuchhalter aus nicht benötigten Drahtkleiderbügeln zurechtgebogen, Vorhänge aus übrigen Geschirrtüchern genäht, Kissenbezüge aus Halstüchern und Verpackungen als Windlichter und Blumenvasen verwendet.

Manchmal hätten wir schon viel erreicht, wenn wir auf ein bisschen Trägheit verzichten könnten, wenn wir uns die Mühe machen würden, vorher über unser Tun und unsere Konsumentscheidungen nachzudenken, wenn wir manchmal etwas weniger oft tun würden. Die Wirkung wäre vortrefflich! Aber so flüchten wir uns in die Ausrede: Wenn ich nicht alles tun kann, dann tu ich lieber gar nichts.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil wir einem ewigen Rechtfertigungszwang unterliegen, ganz besonders im Umweltschutz. Er wird von manchen dogmatisch gehandhabt und betrieben mit dem Moralismus, manchmal sogar dem Fanatismus einer Religion. Dann wundert man sich, wenn manche Menschen nicht mehr mitmachen wollen, obwohl doch so logische Gründe dafür sprechen. Denn natürlich sind wir alle nicht perfekt, denn natürlich haben wir manchmal triftige Gründe, das Auto zu nehmen, Transporte, das Wetter, ein kaputtes Knie, ein Baby, unzureichende Verkehrsmittel! Es ist Unsinn, sich das gegenseitig vorzuwerfen.

Dennoch gilt, manchmal auf träge Gewohnheiten zu verzichten, bringt allen etwas!

Andreas Altmann schildert in Gebrauchsanweisung für die Welt folgende Beobachtung: „Doof sein ist leicht, viel leichter, als das Hirn in Betrieb zu nehmen. Das erinnert mich an Passagiere, die nach einem 12-Stunden-Flug in der Ankunftshalle die Rolltreppe benutzen, statt sich vor die erste Treppe zu knien, aus Dank, wieder den Leib spüren zu dürfen. Nichts würde sie physisch hindern, aber sie wollen träge sein. Dieses geistig-körperliche Versumpfen, dieses Fettwerden oben und unten, ist es das, wofür wir leben?“

„Ah, die Routine. Sie ist eines der gefährlicheren Gifte. Vor dem keiner von uns gefeit ist. Sie ist der Erzfeind der Neugier, sie ist das träge Fleisch, der innere Schweinehund, eine wahre Massenvernichtungswaffe.“




Teilzeithelden

von Petra Stechele

Ich bin für die Umwelt nur als Teilzeitheldin unterwegs.

Ich habe Tage, da bin ich schwach, träge, da bin ich müde, da kränkle ich, da bin ich nicht willens, mich zu allem Ärger mit der Welt auch noch mit dem Umweltschutz herumzuplagen. Tage, an denen will ich mich nicht mit dem Fahrrad abmühen, weil mir der Sturm zu heftig ist und ich einen Schnupfen oder Kopfweh habe. Tage, an denen das Fahrradfahren keine Freude macht.
Ich besitze ein Auto und dann nehme ich es, weil es mir das Leben erleichtert, weil es meine Befindlichkeit verbessert, meine Verletzungen kuriert, weil ich es vollladen kann, mit allem, was ich brauche. Dann versuche ich, möglichst mit einer Runde alles zu erledigen, damit ich nicht fünfmal herumkurven muss.

Es gibt Momente, da will ich mal anders aussehen und habe ein tolles Kleidungsstück entdeckt, das nicht in das Umweltkonzept passt, aber eben toll ist zum Ausgehen. Es steht mir super! Dann nehme ich es – und freue mich, wenn andere feststellen, dass ich darin gut aussehe. Wenn sie mir Blicke schenken, die ich anders nicht bekomme.

Es gibt Momente, da möchte ich etwas essen, das nicht die ökologischen Kriterien erfüllt, weil ich eingeladen bin, weil es für mich der Inbegriff der Freude ist, Teil eines Festes, eine Belohnung für etwas, Teil der Geselligkeit mit anderen. Dann denke ich nicht darüber nach, vermiese niemand den Abend, dann esse oder trinke ich es.

Ich finde, dass es niemandem zusteht, mich dafür zu verurteilen. Denn niemand ist perfekt. Wir können den Umweltschutz nicht mit dem Fanatismus der Religionen betreiben, nicht indem die einen Gruppen die anderen abkanzeln, die etwas ein wenig anders sehen oder lösen wollen. Wir müssten uns zusammenschließen, statt uns im Besserwissen zu überbieten.

Im Detail können wir oft gar nicht sagen, welches Produkt wirklich umweltfreundlich ist. Im Detail ist das oft viel zu aufwändig. Im Detail sind wir damit überfordert. Wir haben bisher oft nur grobe Leitlinien und Empfehlungen, an die wir uns halten können, so oft es uns gelingt.
Aber ich kann auch nicht die Ausrede gelten lassen, ich schaffe es eh nicht, dann bemühe ich mich auch gar nicht, da unser Lebensstil die Welt ruiniert.

Ich kenne viele, die verzagt aufgeben, immer müde und immer schwach sind, die frustriert sind und denken: das hat doch alles keinen Sinn, das nützt doch nichts, das ist doch jetzt alles gar nicht wichtig, wo wir doch viel gefährlicheren Dingen ausgesetzt sind, als dem Klimawandel, wo uns doch der Terror droht. Denen möchte ich gerne antworten. Schaut doch genau hin! Seht ihr denn nicht die Zusammenhänge!?

Unser Lebensstil ist zu Recht in Kritik geraten ist, wird zu Recht von anderen angegriffen. Und „angegriffen“ hat in diesen Tagen eine traurige Doppelbedeutung erlangt. Denn wir machen uns mit unserem Lebensstil auch abhängig von anderen, wir verlieren unsere Freiheit und Selbstbestimmung, weil wir uns ihnen ausliefern, allein durch unseren immensen Energiebedarf.

Wenn wir uns die Mühe machen, genau hinzusehen, dann erkennen wir, dass unser Lebensstil den Terror finanziert. Das Geld mit dem wir unser Öl bezahlen, wird von den Saudis dazu verwendet – das ist kein Geheimnis – den Terror zu finanzieren. Die Medien haben davon berichtet.

Wenn wir uns die Mühe machen, genau hinzusehen, dann sehen wir Reiche, die immer reicher werden und Arme, die chancenlos bleiben. Gerade die Länder Afrikas und des Nahen Ostens wurden von uns Anfang des vorigen Jahrhunderts dazu ausersehen, uns als Rohstoffquellen und Kolonien zu dienen. Das hat unser Verhältnis zu ihnen geprägt. Wir haben ihre Kultur nie wirklich verstanden. Wir haben in unserem Eingreifen in diesen Ländern versagt, weil wir ihnen unsere Werte aufgezwungen haben, nicht zuletzt wegen unserer eigenen Interessen. Peter Scholl-Latour nennt dies den „Fluch der bösen Tat“. Er hat schon vor langer Zeit vor einer Entwicklung wie dieser gewarnt.

Wenn wir uns die Mühe machen, genau hinzusehen, dann sehen wir, dass die jungen Mitläufer des Terrors ja aus unserem Europa kommen, junge Leute, die offenbar durch die Maschen der Gesellschaft gefallen sind, die keine Perspektiven für ihr Leben sehen und in ihrer Selbsttötung ein erstaunliches einmaliges Sinnerlebnis sehen. Vielleicht auch die Erlösung aus einer unhaltbaren Leere, einer für sie unerträglichen Situation.

Es ist überhaupt ein Phänomen im Umweltschutz, dass fast alles, was wir wissen, schon seit Mitte des vorigen Jahrhunderts bekannt ist und vorhergesagt wurde. Doch wir haben es bisher meisterlich ignoriert. Vermeintliche Lösungen wie die Atomkraft haben sich als Irrwege erwiesen. Da bleibt mir nur der Versuch, meine Bedürfnisse zurückzunehmen, bis wirkliche Lösungen gefunden sind.

Wenn ich unsere Freiheit und unsere Werte erhalten will, dann muss ich mit meinem Lebensstil dafür sorgen, dass wir sie nicht verlieren. Zumindest immer wieder kann ich versuchen, meine Abhängigkeiten aufzubrechen und meine Freiheit erhalten, über mein Tun verantwortungsvoll zu entscheiden.

Drum bin ich für die Umwelt immerhin als Teilzeitheldin unterwegs.

Literatur:
Abdalrachman Munif, Salzstädte.
Peter Scholl-Latour, Der Fluch der bösen Tat.
Jenny Erpenbeck, Gehen, ging, gegangen.




Menschenzeit

Zerstören oder gestalten? Die entscheidende Epoche unseres Planeten.

Menschenzeit-kleinChristian Schwägerl
Riemann Verlag 2010
München. 320 Seiten.

Der renommierte Wissenschaftsjournalist Christian Schwägerl (Der Spiegel) beschreibt, warum wir im „Anthropozän“, dem Zeitalter des Menschen, leben – in dem wir den Planeten Erde in atemberaubender Geschwindigkeit grundlegend verändern. Der Mensch erschafft neue Landschaften, greift in das Weltklima ein, leert die Meere, erzeugt neuartige Lebewesen. Die Grenzen zwischen Natur und Kultur verschwinden. Aus der Umwelt wird eine „Menschenwelt“ – doch sie ist geprägt von Kurzsichtigkeit und Raubbau. Entwickeln wir nun die Reife, unsere Macht für eine lange Zukunft zu nutzen?

„Menschenzeit“ beschreibt den steilen Aufstieg unserer Art, die Umweltkrisen von heute und Szenarien für die menschgemachte Biosphäre der Zukunft. Das Buch zeigt auf, warum sich vor allem die Menschen im Westen bewusst im Konsum mäßigen und zugleich die Kräfte der Wissenschaft neu mobilisieren müssen. Es gibt eine Chance für ein fruchtbares Zeitalter des Menschen – jetzt. „Menschenzeit“ ist „eine Einladung an jeden Einzelnen, sich einer neuen Bürgerbewegung anzuschließen“ (NDR), „ein subtiles, reflektiertes Mutmacherbuch“ (Tagesspiegel), eine „atemberaubende planetare Vision“ (FAZ).

Ein feuilletonistisches Buch, das praktische alle relevanten Themen anspricht, sie aber leider nicht wirklich bearbeitet. Zudem glaubt der Autor u.a. in Gentechnik und Geo-Engineering die Lösung der Problem zu finden. Erstaunlich auch, dass der Ökologische Fußabdruck nur ein einziges Mal erwähnt wird, ohne aber auf die Quelle und Methodik zu verweisen. Schafft Raum für die eingehende Behandlung mit dem Footprint.

Interview mit Christian Schwägerl




Befreiung vom Überfluss

Auf dem Weg in eine Postwachstumsökonomie.

Paech Befreiung vom UeberflussNiko Paech
oekom Verlag 2013
München. 153 Seiten.

Noch ist die Welt nicht bereit, von der Droge „Wachstum“ zu lassen. Aber die Diskussion über das Ende der Maßlosigkeit nimmt an Fahrt auf. Der Umweltökonom Niko Paech liefert dazu die passende Streitschrift, die ein „grünes“ Wachstum als Mythos entlarvt. Nach einer vollen Arbeitswoche möchte man sich auch mal etwas gönnen: ein neues Auto, ein iPad, einen Flachbildfernseher. Ruckzuck steckt man im Teufelskreis aus Konsumwunsch und Zeitmangel. Und nicht nur das: der stete Ruf nach „mehr“ lässt Rohstoffe schwinden und treibt die Umweltzerstörung voran. Dabei gelten „grünes“ Wirtschaftswachstum und „nachhaltiger“ Konsum als neuer Königsweg. Doch den feinen Unterschied hier „gutes“, dort „schlechtes“ Wachstum hält Niko Paech für Augenwischerei. In seinem Gegenentwurf, der Postwachstumsökonomie, fordert er industrielle Wertschöpfungsprozesse einzuschränken und lokale Selbstversorgungsmuster zu stärken.
Das von Paech skizzierte Wirtschaften wäre genügsamer, aber auch stabiler und ökologisch verträglicher. Und es würde viele Menschen entlasten, denen im Hamsterrad der materiellen Selbstverwirklichung schon ganz schwindelig wird.

‚In seinem Buch widerspricht Paech vehement der Vision einer grünen und nachhaltigen Wirtschaft, für die sich auch der Rio+20-Gipfel aussprach. Ihre Fürsprecher setzen auf Wachstum, nur eben umwelt- und ressourcenschonender. Für Paech der falsche Weg:

„Es geht nicht darum, technische Lösungen zu verteufeln. Es geht auch nicht darum, Prozesse des Suchens und Findens neuer Lösungen auszusetzen. Es geht nur darum, sich klar zu machen, dass diese neuen Lösungen niemals dazu führen können, dass das Bruttoinlandsprodukt weiter wachsen und gleichzeitig eine Entlastung der Ökosphäre dabei herauskommen kann.“

Ein grünes Wirtschaftswachstum: Für Paech ist das schlichtweg ein Mythos und begründet seine Haltung an verschiedenen Beispielen: Die Elektromobilität lässt den Bedarf an Seltenen Erden steigen. Der Ausbau von Windkraftanlagen verbraucht Flächen. Der Bau von Passivhäusern führt zu neuen Baugebieten für Einfamilienhäuser, das heißt Landstriche werden versiegelt und der Wohnraum pro Person bleibt viel zu hoch – auch wenn das neue Eigenheim auch noch so umweltfreundlich geplant wurde.

Die Geschichte des technischen Fortschritts war niemals etwas anderes als eine Abfolge von Übergängen zu höheren Ebenen des Energieverbrauchs.

Auf den 150 Seiten verfällt Paech nicht in Groll oder Alarmismus. Im Ton sachlich entwirft er sein Modell einer Postwachstumsökonomie, das er für alternativlos hält. Pointiert macht er klar: Entweder Politik und Bürger gestalten selbst den gesellschaftlichen Umbau oder künftige Energie- und Umweltkrisen werden sie dazu zwingen.

Im Gegenzug verspricht der Volkswirt mehr Freiheit und Selbstbestimmtheit. Indem die Bürger ihren Wohlstandsballast abwerfen, befreien sie sich vom Zwang des Konsums und erfahren dabei auch noch Glück:

„Vielleicht ist mein Glück etwas bescheidener gemessen an den materiellen Inputs. Aber dafür kann ich von mir sagen, dass die Art von Glück, die ich empfinde, insoweit ehrlich ist, als andere Menschen im selben Rahmen genauso versuchen können, glücklich zu werden. Die Übertragbarkeit meines Glücks ist mir dabei wichtig und vor allem, dass mein Glück nicht das Resultat von Plünderung ist.“

Doch wie ehrlich will eine moderne Konsumgesellschaft sein? Reduktion klingt nicht sexy – Subsistenzwirtschaft nach Strickpullover und Sandalen. Da klingt das Versprechen einer nachhaltigen Wirtschaft attraktiver: Nicht teilen, sondern die Geländelimousine mit Biosprit fahren. Spottbillig in den Süden fliegen und zur Beruhigung dafür ein paar Euros für ein Nachhaltigkeitsprojekt spenden.

Es ist gerade Paechs radikale Position, die bei der Lektüre des Buches dazu anregt, ehrlich über den eigenen Konsum, die eigene Wohlstandsanhäufung nachzudenken. Und so liefert Paech mit seiner „Befreiung vom Überfluss“ ein sehr kompaktes sowie wichtiges Buch. Der Leser mag bei der Lektüre ab und an den Kopf schütteln und sich fragen, wie realistisch eine Postwachstumsökonomie ist. Doch das Buch bietet mit seinen konsequenten Forderungen mehr Anregungen als manche „Weiter-So-Literatur“.‘
Sonja Ernst, Deutschlandfunk 06.06.2012

Tage der Utopie 2013

Bericht der Badischen Zeitung vom 28. Januar 2013 zur Veranstaltung „Wachstum und wie weiter?“ an der Katholischen Akademie in Freiburg.

Interview mit Niko Paech auf einfachbewusst.de




Footprint

Hier findest du Filme zum Footprint. Die ersten 7 Filme führen in das Konzept des Ökologischen Fußabdrucks ein. Die anderen sollte man einfach wirken lassen.

Ökologischer Fußabdruck: Passen wir auf unseren Planeten?

WissensWerte: Biodiversität

Home von Yann Arthus-Bertand zeigt mit  beeindruckenden Bildern die Komplexität unserer Welt und die Folgen unseres viel zu großen Footprint. Sehr sehenswert.

Vielen Dank an den Schüler aus Cottbus, der mir den Tipp gegeben hat.